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Die Toechter der Kaelte

Die Toechter der Kaelte

Titel: Die Toechter der Kaelte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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»Natürlich.«
    Mit einem Arm Maja haltend, half sie Charlotte vom Sofa hoch und führte sie aus dem Wohnzimmer.
    »Wo ist das Bad?« fragte Erica. Niclas wies stumm auf eine Tür am Ende des Korridors.
    Der Weg dorthin erschien unendlich lang. Als sie an der Küche vorbeikamen, erblickte Lilian die beiden, und sie wollte gerade den Mund öffnen und eine Salve abfeuern, als Niclas zu ihr hineinging und sie mit einem Blick zum Schweigen brachte. Erica hörte hinter sich erregtes Gemurmel an- und abschwellen, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Die Hauptsache war, Charlotte fühlte sich besser, und sie war voll und ganz überzeugt, daß eine Dusche und frische Kleidung ihr nur wohltun konnten.
     
    Strömstad 1923
     
    Es war nicht das erste Mal, daß sie aus dem Haus davonschlich. Es war ja so leicht. Sie öffnete einfach das Fenster, stieg auf das Dach hinaus und den Baum hinunter, dessen schwere Krone dicht ans Haus reichte. Zu klettern war eine Kleinigkeit. Doch hatte sie nach reiflicher Überlegung auf einen Rock verzichtet, der ja das Kraxeln im Baum erschweren konnte, und statt dessen ein Paar schmale Hosen gewählt, die sich dicht um die Schenkel schmiegten.
    Es war, als würde sie von einer gewaltigen Welle getrieben, der sie weder widerstehen konnte noch wollte. So starke Gefühle für jemanden zu empfinden war sowohl erschreckend als auch angenehm, und sie verstand, daß die flüchtigen Verliebtheiten, die sie früher so ernst genommen hatte, nur reines Kinderspiel gewesen waren. Was sie jetzt verspürte, waren die Gefühle einer erwachsenen Frau, und diese waren mächtiger, als sie je geahnt hatte. Während der stundenlangen Grübeleien, denen sie sich seit dem Morgen hingegeben hatte, war ihr indessen durchaus klar geworden, daß ein Großteil der Hitze in ihrer Brust auf der Sehnsucht nach der verbotenen Frucht beruhte. Doch aus welchem Grund auch immer, das Gefühl war vorhanden, und sie war es nicht gewohnt, sich etwas zu versagen, und hatte auch nicht vor, gerade jetzt damit zu beginnen. Einen Plan besaß sie eigentlich nicht. Sie war sich nur bewußt, was sie haben wollte und daß sie es jetzt wollte. Konsequenzen waren nichts, was sie je hatte in Betracht ziehen müssen, und in ihrem Fall lösten sich Probleme stets in Wohlgefallen auf, warum also sollten sie es jetzt nicht tun?
    Daß er sie vielleicht nicht haben wollte, dieser Gedanke kam ihr gar nicht. Ihr war bisher noch kein Mann begegnet, der ihr gegenüber gleichgültig geblieben wäre. Männer waren wie Apfel, sie mußte nur die Hand ausstrecken, um sie zu pflücken. Allerdings mußte sie einräumen, daß dieser Apfel vielleicht ein etwas größeres Risiko barg als die meisten anderen. Sogar die verheirateten Männer, die sie ohne Wissen ihres Vaters geküßt oder mit denen sie sich in bestimmten Fällen erlaubt hatte weiterzugehen, waren ungefährlichergewesen als dieser Mann, den sie jetzt zu treffen beabsichtigte. Sie hatten alle derselben Klasse wie sie angehört, und selbst wenn es zunächst einen Skandal gegeben hätte, falls ihre Stelldicheins mit einem von ihnen ans Licht gekommen wären, hätte man das Ganze doch ziemlich umgehend mit gewisser Nachsicht betrachtet. Doch ein Mann aus der Arbeiterklasse, ein Steinmetz: Auf diesen Gedanken wäre wohl keiner je gekommen. So etwas geschah einfach nicht.
    Aber sie war der Männer ihrer eigenen Klasse überdrüssig. Diese hatten kein Rückgrat, waren Maß, hatten einen schlaffen Händedruck und schrille Stimmen. Keiner von ihnen war ein Mann jenes Schlages wie der, dem sie heute begegnet war. Sie erschauerte, als sie sich seiner schwieligen Hände erinnerte.
    Es war nicht leicht gewesen, ohne Verdacht zu wecken in Erfahrung zu bringen, wo er wohnte. Aber ein Blick in die Lohnlisten während eines unbewachten Augenblicks hatte sie mit der Adresse versehen, und dann hatte sie vorsichtig in die Fenster gelugt und herausgefunden, welches zu seinem Zimmer gehörte.
    Das erste Steinchen erbrachte keine Reaktion, und sie wartete einen Augenblick in der Furcht, die Alte zu wecken, bei der er zur Miete wohnte. Doch niemand im Haus rührte sich. Sie bewunderte sich selbst in dem schwachen Mondlicht. Sie hatte einfache dunkle Kleidung gewählt, um den Kontrast zu ihm nicht allzu sehr zu betonen, und aus demselben Grund hatte sie auch ihr Haar geflochten und es sich um den Kopf gewunden, wie es unter Arbeiterfrauen üblich war. Zufrieden mit dem Resultat, hob sie ein weiteres Steinchen vom Sandweg

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