Die Töchter der Lagune
ungeschickt versuchte, das Tüchlein hinter dem Rücken zu verbergen, wandte sie sich um und blickte in die kalten Augen ihres Gemahls. „Was versteckst du da?“, fragte er misstrauisch und griff grob nach ihrem Arm. Als er das Taschentuch in ihrer Hand sah, entwand er es ihr brutal und betrachtete es einen Moment lang grübelnd. „Ein Taschentuch“, murmelte er und ignorierte Emilia, die ihn zornig anfunkelte. „Was willst du damit?“, fragte sie misstrauisch, da Jago das Tuch nachdenklich hin und her drehte. „Geh, lass mich alleine“, befahl Jago, anstatt ihre Frage zu beantworten und verzog den Mund zu einem verächtlichen Lächeln. „Nein!“, widersprach Emilia tapfer. „Sag mir, was du damit anfangen willst. Hat dein Freund Rodrigo etwas damit zu tun?“ Ihre Stimme war schrill, die Wangen gerötet vor Aufregung. Jago ignorierte sie, stopfte das Tuch in die Tasche und wandte ihr den Rücken zu. Dann jedoch wirbelte er herum und schlug ihr mit dem Handrücken so hart ins Gesicht, dass sie rückwärts stolperte. Ein Schmerzensschrei entfloh ihren aufgeplatzten Lippen. „Lass – mich – in – Ruhe!“, wiederholte er gefährlich ruhig.
Schluchzend hob sie die zitternde Hand an den Mund und erstarrte vor Entsetzen, als sie Blut an ihren Fingern sah. „Du Tier!“, flüsterte sie heiser, drückte die Weinflasche an den Busen und eilte in Richtung Zitadelle davon. Als sie im Innern verschwunden war, verscheuchte Jago den Gedanken an sie wie eine lästige Fliege und konzentrierte sich auf das Tüchlein, das ihm das Schicksal in die Hände gespielt hatte. Solch eine Kleinigkeit. Und dennoch solch eine mächtige Waffe in den richtigen Händen. Er unterdrückte ein Lachen, warf den Mantel über die Schulter und eilte in sein Quartier. Dort öffnete er die Deckel mehrerer Truhen und wühlte darin herum, bis er schließlich fand, wonach er gesucht hatte. „ Cinquante Novelle von Masuccio Salernitano“ stand auf dem Einband des kleinen Büchleins. Dieses verstaute er unter seinem Wams und schlenderte mit einer heiteren Melodie auf den Lippen zur Zitadelle. „Sag der Gemahlin des Provveditore , dass ich etwas für sie habe“, trug er dem Bediensteten auf, der ihn empfing.
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Zypern, eine Kammer in der Zitadelle, April 1571
Seit sie den Termin für die Hochzeit bestimmt hatten, verbrachte Francesco beinahe jede Nacht bei Angelina in der Zitadelle, da die Privatsphäre im Militärquartier doch sehr zu wünschen übrig ließ. Christoforo hatte widerstrebend seine Zustimmung gegeben, als der junge Mann den General um Erlaubnis gebeten hatte. Solange sie diskret waren, würde er es tolerieren, hatte er gewarnt. Sollte es allerdings zu einem Skandal kommen, würden sie die Konsequenzen tragen müssen, ohne Hoffnung auf Unterstützung von seiner Seite. Angelina war Desdemona dankbar dafür, dass sie das harte Soldatenherz erweicht hatte. Ihre Argumente waren hervorragend – immerhin hatte Christoforo auch alle Gesetze der Wohlanständigkeit und des Gehorsams in den Wind geschlagen, als er ohne die Zustimmung des Senators geheiratet hatte. Daher wäre es Heuchlerei, ähnliche Verstöße anderer zu verurteilen.
Angelina hatte ein Feuer im Kamin entzündet und Blumen und Kerzen in der Kammer verteilt. Die Vorhänge des Himmelbettes waren zurückgezogen, und sie hatte die Kissen und Decken, welche sie an der Hitze des Feuers gewärmt hatte, zurück auf die Matratze gelegt. Sie trug immer noch das tief ausgeschnittene, dunkelbraune Kleid mit der Goldstickerei, das sie zum Abendessen angelegt hatte. Alle Offiziere waren an diesem Abend in der Halle gewesen – hungrig von den endlosen Stunden des Diskutierens im Kriegsrat. Obschon die Versammlung hochgeheim war, hatte die Öffentlichkeit davon erfahren, dass Marcantonio Bragadin vorgeschlagen hatte, sich den Türken zu ergeben. Einer der alten Diener, welche die Kriegsmänner mit Krügen voller Wein und Wasser versorgten, hatte die Information an eine Kammerzofe weitergegeben. Diese hatte sie Emilia ins Ohr geflüstert, welche daraufhin Desdemona in Kenntnis setzte. Am Ende hatte jeder der Anwesenden die schockierende Neuigkeit gekannt. Francesco hatte lediglich kurz den Blick von Angelinas Ausschnitt losgerissen, um Bragadin einen verächtlichen Blick zuzuwerfen. „Was für ein Feigling!“, hatte er geflüstert. Aber Angelina hatte ihm unter dem Tisch die Hand aufs Bein gelegt und ihm zu verstehen gegeben, dass er auf seine Worte
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