Die Töchter der Lagune
rechtzeitig zurückgekommen, um mit anzusehen, wie Elissa vergeblich versuchte, der Gefangenen Wasser einzuflößen. Wo blieben sie denn? Ihre Kniekehlen begannen wegen der ungeschickten Haltung bereits zu kribbeln, und ihre Ungeduld stieg. Elissas Verhaftung würde ihr den Tag versüßen! Mit zwei Hindernissen weniger auf dem Weg zur Lieblingskonkubine des Sultans würden ihre Chancen sich dramatisch erhöhen. Schließlich hatte er sie vor Hülyas Ankunft fast täglich zu sich gerufen.
Plötzlich wurde sie von lauten Stimmen und dem Geräusch von Nagelstiefeln, die über den gekachelten Boden des Peristyls trampelten, aus ihren Gedanken gerissen. Bevor sie ausfindig machen konnte, woher die Stimmen kamen, tauchte ein junger Mann in schmutzigen weißen Kleidern aus dem Schatten der gegenüberliegenden Säulen auf. Seine Nase war blutig, und einer seiner Ärmel schien im Kampf zerrissen worden zu sein. Mit der Rechten umklammerte er ein gefährlich langes Schlachtermesser. Als Elissa, die immer noch mit beiden Händen den Krug umfasst hielt, den Mann auf sich zukommen sah, stieß sie einen schrillen Entsetzensschrei aus und ließ das irdene Gefäß fallen. Dieses zersprang in tausend Stücke, während das Wasser über den gesamten Hof spritzte. Ohne auf die wütenden Janitscharen zu achten, die ihm mit gezogenen Waffen folgten, eilte der junge Mann auf den Pfahl zu, stieß Elissa zur Seite und schlang die Arme um Hülya. Ehe Gümüs verstand, was vor sich ging, rammte er das Messer ins Herz des gefesselten Mädchens, wobei er Gott um Vergebung anrief. Innerhalb eines Lidschlages stürzten sich die Janitscharen auf den Unglücklichen und schnitten ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, die Kehle durch. „Dreck!“, zischte einer von ihnen, nachdem ihr blutiges Opfer auf dem staubigen Boden zusammengebrochen war, und spuckte auf den Haufen toter Glieder.
Um das Chaos komplett zu machen, bog in diesem Moment ein weiterer Trupp Janitscharen – die von Roxelana geschickten – um die Ecke des Hofes und blieb wie angewurzelt stehen, als er der Menschenmenge gewahr wurde. „Ergreift sie!“, kreischte Gümüs, sprang hinter der Säule hervor und zeigte auf Elissa. Diese war, so weit sie konnte, von dem Pfahl zurückgewichen, bis die Hofmauer ihren Rückzug aufhielt. Ihre Hände, die eine Scherbe des zerschlagenen Kruges umklammerten, zitterten und ihr Gesicht war kalkweiß. „Macht schon!“ Gümüs’ Stimme war schrill vor Ärger. Warum zögerten die Janitscharen? Der Befehl war doch klar! Sie sollten die Sklavin festnehmen, die das schwere Verbrechen begangen hatte, einem ausdrücklichen Befehl der Valide Sultan zuwider zu handeln. Für gewöhnlich bedeutete dies die Todesstrafe für den Delinquenten.
Kapitel 29
Zypern, auf den Zinnen von Famagusta, April 1571
Die Hitze hatte die Insel wie eine massive Mauer aus wabernder Luft getroffen. Bis vor zwei Tagen war es noch zu kühl für die Jahreszeit gewesen, doch dann war eine Hitzewelle vom Meer hereingeschwappt. Inzwischen glich die Stadt einem Glutofen. Christoforos Hemd war bereits schweißgetränkt, und er beneidete die einfachen Fußsoldaten, welche die Gräben entlang der inneren Ringmauer vertieften, nicht um die harte Arbeit. Auf ihren bloßen Oberkörpern spielten im grellen Sonnenlicht wulstige Muskeln. Er stand im Ausguck der Andruzzi Bastion hoch über der südlichen Mauer von Famagusta, von der aus man die riesige Zeltstadt, welche die Osmanen in sicherer Entfernung errichtet hatten, beobachten konnte. In der flimmernden Hitze schien sich der Wald aus Zeltspitzen in beinahe tänzerischer Eleganz am Horizont zu wiegen. Die Ausmaße des Feldlagers waren entmutigend. Es umfasste ein Vielfaches des Gebietes, auf dem die eingeschlossene Stadt errichtet war. Und obschon er nur einen Teil davon sehen konnte, schätzte Christoforo, dass sie es mit einem Feind zu tun hatten, der ihrer eigenen Truppenstärke um ein Zwanzigfaches überlegen war.
Die ersten Anzeichen einer sich ausbreitenden Panik waren bereits über die Gesichter der Soldaten gehuscht, als sie sich der furchterregenden Anzahl der Feinde bewusst geworden waren. Christoforos einzige Hoffnung war, dass sich unter seinen Männern keine Aufwiegler befanden. Ansonsten würde er sowohl mit den Angriffen von außen als auch mit einem Feind im Inneren zu kämpfen haben. Er seufzte. Obgleich er sich bemüht hatte, den Gedanken zu unterdrücken, bahnte er sich in letzter Zeit häufiger den
Weitere Kostenlose Bücher