Die Töchter der Lagune
Straße?“, fragte Cassio besorgt. „Du solltest zu Hause bleiben.“ Es waren unsichere Zeiten für die Frauen der Stadt. Es gab genügend Soldaten, die Cassios Ehrencodex nicht teilten, und die sich einfach nehmen würden, was sie wollten. Ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, dafür zu bezahlen. Plötzlich kam ihm etwas in den Sinn. „Ich wollte ohnehin gerade zu dir“, log er. „Wolltest du?“, fragte sie, und eine ihrer sorgsam gezupften Brauen wanderte überrascht in die Höhe. „Und ich war auf dem Weg zu deiner Unterkunft. Ich habe dich schon seit über einer Woche nicht mehr gesehen“, setzte sie vorwurfsvoll hinzu. „Es tut mir leid“, seufzte er und hauchte einen flüchtigen Kuss auf die Wange, die sie ihm entgegenstreckte. „Könntest du mir einen Gefallen tun?“ Er fummelte in der Tasche seines Wamses herum und zog einen Perlenohrring hervor, den er vor Wochen in seiner Kammer gefunden hatte. „Könntest du die Fassung für mich kopieren?“ Bianca streckte die Hand nach dem Schmuckstück aus und sah es mit unverhohlener Bewunderung an. Doch urplötzlich wandelte sich ihr Gesichtsausdruck, und sie kniff die Augen zusammen. „Woher hast du das?“, fragte sie misstrauisch, und als Cassio gleichgültig die Schultern hob, runzelte sie missfällig die Stirn. „Das ist ein Glücksbringer von einer anderen Frau! Nicht wahr?!“ Das tiefe Blutrot, das ihre Wangen überzog, war natürlich und machte sie weitaus hübscher als all die Farbe, dachte Cassio beiläufig.
„Unsinn“, bemühte er sich, sie zu beruhigen. „Sei doch nicht so eifersüchtig.“ „Nun, wem gehört er dann?“, fragte sie, weit davon entfernt, ihr Misstrauen zu beerdigen. „Ich weiß es nicht, Liebste. Ich habe ihn in meiner Kammer gefunden.“ Ehe sie ihn mit einer Kanonade von Protestworten unterbrechen konnte, brachte er sie mit einem Kuss auf den Mund zum Schweigen, wobei ihn der süße, fruchtige Geschmack auf ihren Lippen in Erstaunen versetzte. „Vermutlich hat ihn vor langer Zeit jemand verloren. Aber er gefällt mir und ich hätte gerne einen Zweiten. Die Perle kann ich später kaufen.“ Er tätschelte ihr pralles Hinterteil und ignorierte den wütenden Blick, mit dem sie ihn anfunkelte. „Bitte“, flehte er mit Welpenaugen. „In Ordnung“, gab sie schließlich nach, schnappte den Ohrring aus seiner Hand und stopfte ihn sich in den Ausschnitt. „Dann begleite mich ein wenig“, forderte sie. „Und sag, dass du mich heute Abend besuchst.“ Er nahm ihren Arm und seufzte leise. „Ich kann dich nur bis zur nächsten Kreuzung bringen, aber ich werde heute Abend da sein.“
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Zypern, ein Militärpavillon vor den Toren von Famagusta, 29. Juni 1571
„Bitte verzeiht die Umstände“, sagte Mustafa Pascha lächelnd, als ob nichts weiter geschehen wäre als eine Verzögerung des Abendessens. Er hatte zwei jungen Janitscharen befohlen, Francesco von seinen Fesseln zu befreien und ihn ins Hamam zelt zu geleiten, in dem die beiden Männer jetzt – in weiche Handtücher gehüllt – darauf warteten, dass der Barbier sie von ihrer Gesichtsbehaarung befreite. „Ihr werdet diese Prozedur außerordentlich erfrischend finden“, versprach der osmanische Aga .
Francesco wurde nicht schlau aus dem Mann. Er konnte wild und erbarmungslos sein wie ein ungezähmter Löwe. Doch schon im nächsten Moment war er wieder der kultivierte und zivilisierte Weltmann, der seinen Feinden mit ausgesuchter Höflichkeit begegnete. Man hatte Francescos Wunden gereinigt und verbunden, kurz nachdem ihn die Soldaten aus dem schmutzigen Verschlag gezerrt hatten. Das Mädchen war gerade noch rechtzeitig hinter einem Stückchen Zeltleinwand in Deckung gegangen, um nicht von den Janitscharen entdeckt zu werden. Sie faszinierte ihn. Obgleich Francesco nicht viel Zeit geblieben war, um mit ihr zu reden, hatte er doch aus dem Klatsch, der im Lager kursierte, genug über ihr merkwürdiges Schicksal erfahren. Flucht! Was für ein süßer Gedanke.
Er wurde durch die Ankunft des Tellaks – des Badesklaven – aus seinen Gedanken gerissen. Der Knabe hatte eine Schüssel mit dampfend heißem Wasser, ein kleines Handtuch und ein Rasiermesser bei sich. Um sie herum war die Luft erfüllt von erdigen Düften und den Stimmen der vielen türkischen Offiziere, die ebenfalls die Annehmlichkeiten des Badekomplexes genossen. Dieser – so hatte ihn der Aga wissen lassen – bot unglücklicherweise nicht denselben Luxus wie
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