Die Töchter der Lagune
stolperte. „Dann geh und suche sie, wenn dir dein Leben lieb ist!“, zischte er, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und ohne weitere Erklärung davonstob.
Emilia legte sanft die Hand auf Desdemonas Schulter, die ihrem Gemahl mit vor Schreck geweiteten Augen nachstarrte. „Er brennt vor Eifersucht“, stellte sie sachlich fest und hob den Brief auf, den Moro in den Schmutz hatte fallen lassen. „Eifersucht?“ Desdemona hob fragend die Augen, die in Tränen schwammen. „Eifersüchtig auf wen?“ Ehe sie eine Antwort auf diese Frage erhalten konnte, schrillte die Alarmglocke, da die Türken einen weiteren Angriff auf die Stadt unternahmen.
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Zypern, ein Militärpavillon vor den Toren Famagustas, 29. Juni 1571
Francesco atmete erleichtert auf. Die Gruppe ausgelassener osmanischer Offiziere war so mit dem Gedanken an die willigen griechischen Mädchen, die der Eunuch in den Nachbardörfern aufgetrieben hatte und die sie bald besteigen würden, beschäftigt, dass sie nicht einmal in seine Richtung geblickt hatten. Mit wild hämmerndem Herzen drückte er das Bündel Kleider an die Brust und eilte in Richtung Umkleidekammer davon, wo er seine eigene schmutzige Uniform zurückgelassen hatte. Und wo ein Diener einen Satz ordentlich gefalteter neuer Kleider für ihn bereitgelegt hatte. Mustafa Pascha hatte ihn eingeladen, das Abendessen mit ihm zusammen in seinem Pavillon einzunehmen. Aber Francesco vermutete, dass die eigentliche Absicht hinter dieser Einladung war, ihn betrunken zu machen und auszuhorchen. Sobald dem Aga klar geworden war, dass er durch rohe Gewalt nichts erreichen würde, hatte er den Kurs gewechselt und begonnen, ihm Honig ums Maul zu schmieren, indem er die überragende Militärstrategie der Lagunenbewohner lobte. Doch Francesco hatte diese List sehr bald durchschaut und fütterte ihn nun mit Informationen, die vollkommen nutzlos waren.
Obschon die Nacht noch nicht ganz hereingebrochen war, funkelten bereits die ersten Sterne am Himmelszelt über dem Lager. Der hellste und größte von ihnen – der Abendstern – schien die Torheiten der unbedeutenden Menschen tief unter sich blinzelnd zu betrachten. Auch wenn seine Gedanken sich um andere Dinge drehten, konnte Francesco dennoch nicht umhin, die aufkommende Brise zu bemerken, die den durchdringenden Gestank von Blut und Schweiß, der an den Zeltspitzen zu kleben schien, vertrieb. Der Lärmpegel war an diesem Abend erstaunlich. Er wurde größtenteils verursacht durch das Wiehern nervöser Pferde und die Schmerzensschreie der Soldaten, deren Wunden außerhalb der hohen Mauer aus Zeltleinwand ausgebrannt wurden. Francesco hatte während seiner kurzen Gefangenschaft noch nicht viel Türkisch gelernt, aber die Worte, die er verstehen konnte, genügten, um ihm klarzumachen, dass die Belagerer alles andere als glücklich über den Verlauf der Schlacht waren. Als er am Zelt der Frauen vorbeikam, gab er das vereinbarte Signal, indem er sich leise räusperte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Eingang ein wenig zurückgeschlagen wurde. Daher ließ er diskret das Bündel gestohlener Kleider fallen, ehe er zum Zelt des Kommandanten weitereilte, um nicht die Aufmerksamkeit der vielen Wachposten auf sich zu ziehen, die den innersten Bezirk des Feldlagers patrouillierten.
„Willkommen“, begrüßte ihn der Aga herzlich, als ihn einer der Janitscharen in das hell erleuchtete Innere führte. „Nehmt Platz.“ Er wies auf einen Berg kostbarer Kissen in der Mitte des Raumes und nahm einen weiteren Zug aus seiner Wasserpfeife. Dann klatschte er ungeduldig in die Hände. Wieselflink fegten drei junge Knaben einige der Kissen aus dem Weg, platzierten ein niedriges Tischchen zwischen den beiden Männern und begannen, köstlich duftende Speisen in Silberschalen aufzutragen. „Bitte, beginnt“, forderte Mustafa den Gast auf, der nicht wusste, was er zuerst kosten sollte. Es gab frisch gebackene Brotfladen, Schüsseln mit unterschiedlichen Fleischgerichten – darunter Lamm, Rind, Huhn –, eine Platte voller winziger Fleischbällchen, die stark nach Zimt und Knoblauch rochen, verschiedene Käsesorten und eine Vielzahl an Gemüsegerichten. „Es tut mir leid, aber ihr werdet mit den Fingern essen müssen“, entschuldigte sich Mustafa, bevor er hinzusetzte: „Aber bitte nehmt die Rechte.“ Er lachte glucksend. „Die Linke gilt bei uns als unrein.“ Francesco konnte sich lebhaft vorstellen, warum dies so war. Immerhin hatte er
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