Die Töchter der Lagune
fragte er daher listig. „Wenn Ihr Euch dort verbergt, werdet Ihr mit eigenen Augen sehen, was die Wahrheit ist.“ Zu ihrer Rechten wuchs eine Gruppe verdorrter Haselbüsche, deren Blätter ein trockenes Gelbbraun aufwiesen. „Ich werde zu Cassio gehen und ihn in ein Gespräch über Eure Gemahlin verwickeln.“ Als Christoforo scharf die Luft einzog, hob er warnend den Finger. „Er liebt es, mit seiner Eroberung anzugeben. Aber er darf Euch auf keinen Fall sehen.“ Es gelang ihm nur mit Mühe, seinem Gegenüber nicht höhnisch ins Gesicht zu lachen. Endlich würde der verfluchte Mistkerl am eigenen Leib erfahren, wie Jago sich bei Giulias Betrug gefühlt hatte! Daher fuhr er schnell fort: „Beobachtet sein Gesicht, seine Gestik, einfach alles, während ich mit ihm spreche. Das wird Euch alles sagen, was ihr wissen müsst.“ Er wandte Moro den Rücken und steuerte auf sein Opfer zu.
„Guten Morgen, Cassio“, rief er fröhlich aus. „Wie geht es Bianca?“, fragte er etwas leiser – darauf bedacht, von Moro nicht gehört zu werden. Er grinste anzüglich. Einer seiner Männer hatte ihm berichtet, dass er die beiden vor ein paar Tagen bei einer sehr intimen Umarmung überrascht hatte. Cassio zuckte fast unmerklich zusammen. „Oh Gott, fragt lieber nicht.“ Er hob in einer Geste hilfloser Verzweiflung die Schultern. „Sie erzählt überall, dass Ihr versprochen habt, sie zu ehelichen“, fuhr Jago fort. „Sie zu ehelichen?“, prustete Cassio lachend. „Ich bin doch nicht närrisch!“ Er wischte sich mit einer ungeduldigen Bewegung das Lachen aus dem Gesicht. „Sie war bis vor ein paar Minuten noch hier“, stöhnte er. „Und hat mich auf offener Straße mit ihren Küssen kompromittiert!“ Er äffte ihre Stimme nach. „Oh, Liebster, wo warst du nur so lange? Wirst du heute Abend mit mir speisen? Ich bin sie nur dadurch losgeworden, dass ich behauptet habe, zum Dienst zu müssen.“
Ehe er fortfahren konnte, tauchte die fragliche Dame aus einer Gasse auf – das Gesicht in dunklem Zorn umwölkt. „Was denn nun schon wieder?“, fragte Cassio ungeduldig. „Ich habe vergessen, dir etwas zu geben“, fauchte Bianca mit schneidender Stimme. „Ich bin mir sicher, das hier ist der Grund, weshalb du immer neue Entschuldigungen findest, um mich nicht besuchen zu müssen!“ Sie zog den Ohrring hervor, den er ihr vor einigen Wochen übergeben hatte. „Von Anfang an habe ich gewusst, dass es ein Liebesbeweis von einer anderen ist. Aber ich wollte völlig sichergehen. Dein Verhalten zeigt, dass ich recht hatte!“ Sie schleuderte ihm das Schmuckstück vor die Füße. „Warum bittest du nicht die Eigentümerin darum, es dir zu kopieren?!“ Verblüfft über diese heftige Reaktion, stammelte Cassio – ganz und gar nicht mehr gleichgültig: „Bianca.“ Doch sie hatte ihm bereits den Rücken gewandt und stürmte in Richtung Hauptstraße davon. „Los, ihr nach!“, ermutigte Jago den verwirrten Liebhaber, der ihr mit offenem Mund hinterhergaffte. Während Cassio sich nach dem Schmuckstück bückte, zog er vorsichtig den Brief unter seinem Wams hervor – den Rücken Moro zugewandt, damit dieser nicht sehen konnte, was er tat. „Ich schätze, das sollte ich wirklich besser tun“, seufzte Cassio. Bevor er davoneilte, legte ihm Jago die Hand auf den Arm. „Werdet Ihr heute bei ihr zu Abend speisen?“ „Ich denke, mir bleibt keine andere Wahl.“ Jago nickte. „Dann sehen wir uns vielleicht später. Ich würde gerne in Ruhe ein paar Worte mit Euch wechseln.“ Dies war die Gelegenheit, auf die er so lange gewartet hatte! Cassio hob erstaunt die Brauen. „Nun, dann gesellt Euch doch zu uns.“ Er verzog gequält das Gesicht. „Dann kann sie nicht schon wieder von Heirat anfangen.“ Mit diesen Worten nickte er dem Major zu und eilte Bianca nach. Als er schon fast um die nächste Ecke verschwunden war, ließ Jago den Blick wie zufällig zu Boden wandern und stieß einen erstaunten Ruf aus. Dann bückte er sich und sorgte dafür, dass es so aussah, als ob er etwas aufhob, das Cassio verloren hatte. Beim Anblick der geschwungenen Lettern auf dem Umschlag musste er verstohlen grinsen. Wie gut, dass er die Briefe aus Cassios Quartier gestohlen hatte! Wie sonst hätte er dessen Handschrift so täuschend echt nachahmen sollen. „General!“, rief er aus und winkte Christoforo zu sich. „Seht nur!“
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Die Umgebung schien vor Christoforos Augen zu verschwimmen. Ein dunkelroter Nebel
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