Die Töchter der Lagune
besser aus, mein Kind“, stellte ihre Mutter lächelnd fest. „Ich fühle mich auch viel besser“, gab Elissa zurück, wobei sie insgeheim hoffte, dass sich niemand erkundigen würde, wie es dazu kam. Bevor ihre Mutter jedoch etwas erwidern konnte, erhob sich ihr Vater seufzend und verkündete, dass er sich noch um einige geschäftliche Dinge zu kümmern hatte, da er noch nicht alle Papiere und Verträge für seine Klienten in Rom vorbereitet hätte. Mit einem kurzen Nicken in Elissas Richtung und einem flüchtigen Kuss auf die Stirn seiner Gemahlin verabschiedete er sich und ließ die Damen in der Kabine zurück.
Nachdem sie – verfolgt von den besorgten Blicken ihrer Mutter und Maria – so viel als nur irgend möglich in sich hineingestopft hatte, entschuldigte Elissa sich und trat hinaus auf das sonnenüberflutete Oberdeck. Wenn sie schon einmal den gesellschaftlichen Beschränkungen der Stadt entkommen konnte, wollte sie es so gut wie möglich auskosten. Und wer wusste, wann sie das nächste Mal an Bord eines Schiffes sein würde. Die farbenprächtige Kleidung der Seeleute bildete einen malerischen Kontrast zu der tiefblauen See und den blendend weißen Segeln. Der Kapitän und die Offiziere trugen wollene Wämser mit pluderigen Ärmeln und Kniehosen, von deren breiten Gürteln Pistolen und Säbel baumelten. Wohingegen die Mannschaft unbewaffnet und mit einfachen Hemden und weiten, wadenlangen Hosen aus Segeltuch bekleidet war. Die Offiziere brüllten den überwiegend blutjungen Besatzungsmitgliedern heisere Befehle zu, während diese mit Tauen und dicken Seilen kämpften oder mit affengleicher Behändigkeit in die Wanten hinaufkletterten. Unten auf dem Unterdeck schrie ein alter Seemann mit wuterfüllter Stimme zwei Knaben an, die auf den Knien lagen und die hölzernen Planken schrubbten. Einer von ihnen schien einen Fehler begangen zu haben, und Elissa sah entsetzt, wie der Matrose ein Stück Seil, das er um die Hüfte gebunden hatte, losmachte und anfing, auf den zusammengekauerten Jungen einzuschlagen.
„Hört sofort damit auf!“, rief sie und raffte, ohne weiter nachzudenken, ihre Röcke, um die schmalen Stufen hinabzueilen. Als sie auf dem Unterdeck ankam, hieb der Mann immer noch unnachgiebig auf den Knaben ein, der verzweifelt versuchte, sein Gesicht mit den Händen zu bedecken, über die bereits mehrere blutige Striemen liefen. „Haltet ein!“ Sie hatte den Seemann erreicht und ergriff seinen Arm, der gerade ausholte, um den nächsten Schlag auszuführen. Verblüfft hielt der Mann inne, und das Seil sank schlaff an seiner Seite zu Boden. „ Signorina, das geht Euch nichts an“, knurrte er, wütend darum bemüht, die Fassung zu wahren. Elissa funkelte ihn an. „Denkt Ihr nicht, dass es genug ist?“, fragte sie zornig. „Seht Ihr denn nicht, dass er blutet?“ Der Junge hatte sich die Unterbrechung zunutze gemacht und war von seinem Peiniger weggekrochen, wobei er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die blutige Hand leckte. Bevor der Mann, dessen Nasenflügel sich vor Wut blähten, antworten konnte, wurden sie allerdings von einem Ausruf aus dem Krähennest abgelenkt. „Schiff in Seenot!“ Daraufhin warf der Seemann dem Burschen und Elissa einen finsteren Blick zu und murmelte etwas, das Elissa nicht verstehen konnte, ehe er in Richtung Oberdeck davoneilte.
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Venedig, ein Gässchen hinter San Marco, Dezember 1570
Christoforo wartete bereits auf sie. Das Weiß seiner Augen schimmerte im Dämmerlicht der engen Gasse, und Desdemona sah seine Zähne aufblitzen, als sich seine Lippen zu einem Lächeln öffneten. Sobald sie ihn erblickte, bemächtigte sich für einen kurzen Moment eine unerwartete Schwäche ihrer Glieder, doch kaum trat er auf sie zu, fiel alle Unsicherheit von ihr ab. Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, verharrte sie so lange auf der Stelle, bis er sie erreicht hatte, und ließ sich von seinen starken Armen umfangen. Mit einem Seufzen schmiegte sie die Wange an seine Brust und lauschte auf seinen Herzschlag, während er sie so fest an sich presste, dass sie eine Winzigkeit lang fürchtete, zu ersticken. Als ob er den Überschuss an Kraft spürte, lockerte er seinen Griff und vergrub das Kinn in ihrem Haar. „Oh, Desdemona“, murmelte er schließlich, senkte den Kopf und suchte ihre Lippen mit den seinen. In dem Augenblick, in dem er ihren Mund mit einem hungrigen Kuss verschloss, versank alles um sie herum in Belanglosigkeit. Um ihm näher
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