Die Töchter der Lagune
zu sein, reckte Desdemona sich auf die Zehenspitzen und erwiderte den Kuss voller Leidenschaft. Trunken und schwindelig vor Glück schloss sie die Augen und ließ sich von dem übermächtigen Gefühl davontragen. Während sie sich seinen Liebkosungen hingab, hörte der Rest der Welt für eine Weile auf zu existieren, bis schließlich das Läuten der Glocken hoch über ihren Köpfen ertönte.
Schwer atmend und widerwillig befreite sie sich von ihm, und ihr Kopf drehte sich vor lauter Glückseligkeit. In den Armen ihres Liebsten hatte sie all ihre Sorgen vergessen, doch nun, da das dröhnende Geläute der Kirchenglocken sie in die Wirklichkeit zurückriss, erinnerte sie sich plötzlich der beunruhigenden Szene im Haus ihres Vaters. „Was ist mit dir, Liebste?“, fragte Christoforo erschrocken, als er einen Schatten über ihr Gesicht huschen sah. „Habe ich etwas falsch gemacht?“ Sie lächelte gezwungen und schüttelte den Kopf. „Nein, Christoforo, es ist nur …“ Sie zögerte einen Moment, ehe sie fortfuhr. Während sie ihm von Rodrigos Annäherungsversuchen berichtete, wobei sie seine geballte Faust mit beiden Händen umklammert hielt, sah sie, wie sich sein Gesicht vor Zorn umwölkte. „Dieser kleine Mistkerl!“ Eine tiefe Zornesfalte grub sich zwischen seine Brauen, und er starrte gedankenverloren zum Eingang des engen Gässchens, wo langsam, aber sicher das Sonnenlicht die Dunkelheit ihres Versteckes durchdrang. Sachte löste er die Linke aus ihrem verkrampften Griff und fuhr sich durchs Haar, während er die Unterlippe mit den Zähnen bearbeitete. „Das ändert alles“, murmelte er und blies die Wangen auf, um die Unsicherheit zu kaschieren, die ohne Vorwarnung von ihm Besitz ergriff. Hatte er das Recht, ihr die Frage zu stellen, die ihm seit Tagen den Schlaf raubte? Er biss die Zähne aufeinander und schluckte trocken. War es richtig, sie darum zu bitten, ihre Jugend einem Mann zu opfern, der ihr Vater sein könnte? Auch wenn es das einzig Ehrenhafte war, was er tun konnte? Ihr engelhaftes Gesicht war ihm zugewandt, und ihr Blick wanderte forschend von seinem Mund zu seinen Augen. Als sich eine winzige Falte zwischen ihre Brauen grub, galoppierte sein Pulsschlag davon, und er gab sich einen Ruck. Mit belegter Stimme presste er die Frage hervor, deren Antwort er mehr fürchtete, als er sich jemals hatte erträumen lassen. „Willst du meine Frau werden?“ Es war heraus! Seine plötzlich feuchten Hände zitterten, und er fühlte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren trat. Dieses zerbrechliche Wesen hatte zustande gebracht, was noch keinem Krieger gelungen war: Sie hatte ihn bezwungen, und er war ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Mit einem einzigen Wort konnte sie sein Herz brechen, und er war beschämt und stolz zugleich über diese Schwäche.
Nach einem langen Moment des Schweigens schloss sie die Augen und zog ihn an sich. Das Gesicht an seiner Brust vergraben, flüsterte sie: „Ja, oh ja.“ Dann hob sie den Kopf, und obwohl ihre Augen vor Tränen schwammen, lächelte ihr Mund das bezauberndste Lächeln, das er je gesehen hatte. Sein Herz drohte, ihm vor Freude die Brust zu sprengen. Nachdem er ihre erhitzten Wangen über und über mit Küssen bedeckt und den Ausdruck ihrer strahlenden Augen in sich aufgesogen hatte, trat er einen Schritt zurück – sich plötzlich eines unüberwindlichen Hindernisses bewusst, das er vorher einfach verdrängt hatte. „Aber wird dein Vater seine Zustimmung geben?“, fragte er unsicher – wohl wissend, dass viele Senatoren ihn ausschließlich als Krieger schätzten. Desdemona runzelte nachdenklich die Stirn, bevor sie schließlich den Kopf schüttelte. „Ich denke, wir werden es geheim halten müssen“, seufzte sie. Ihr war klar, dass ihn das verletzen musste, aber es war sinnlos, sich einzureden, dass ihr Vater sein Einverständnis dazu geben würde, dass seine älteste Tochter den Sohn einer Maurin heiratete. Er war nie davon ausgegangen, dass sie sich zu Christoforo hingezogen fühlen könnte, ansonsten hätte er alles in seiner Macht Stehende unternommen, um ihn von ihr fernzuhalten. Christoforo zuckte die Schultern. Sein Gesichtsausdruck war traurig, aber entschlossen. Er würde den Mann, der ihm wie ein Bruder vertraute, hintergehen, um die Hand seiner Tochter zu gewinnen. „Wir müssen uns beeilen“, gab er zurück. „Ich werde bald wieder fortgehen müssen. Und ich werde dich nur mitnehmen können, wenn wir Mann und Frau sind.“
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