Die Töchter der Lagune
sich instinktiv auf der Seite zusammengerollt. Schnaubend versuchte sie, das Wasser aus ihrer Nase zu entfernen, und als sie wieder ungehindert atmen konnte, musste sie wider Willen kichern. War das nicht seltsam? Noch vor Stunden war es ihr erschienen, als ob ihr Leben zu Ende sei, doch nun, da sie zu etwas zurückgekehrt war, das entfernt an die Zivilisation erinnerte, kehrte auch ihre Hoffnung zurück. Sie fischte nach dem Schwamm, den sie ins Wasser geworfen hatte, bevor sie ihm selbst folgte, und begann, ihren schmutzverkrusteten Körper zu reinigen. Als unvermittelt eine kleine Gestalt in ihr Blickfeld trat, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Das Mädchen, das ein kleines Fläschchen in den Händen hielt, schrie ebenfalls auf und machte einen Satz zurück. Elissa presste eine Hand auf ihr rasendes Herz und starrte den Eindringling an. Es war ein junges Mädchen von ungefähr neun Jahren, das Elissa in diesem Moment mit weit aufgerissenen braunen Augen ansah.
„Hast du mich aber erschreckt!“ Elissa entspannte sich ein wenig. „Wer bist du?“ Das kleine Mädchen trat näher und ließ mit unverhohlener Neugier den Blick über Elissas Körper wandern. „Ich bin Neslihan“, stellte sie sich vor und verneigte sich mit solch kindlichem Ernst, dass Elissa sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte. „Halil schickt mich, um dir zur Hand zu gehen.“ Ihr kleines, gebräuntes Gesicht strahlte vor Stolz. „Wer ist Halil?“, erkundigte Elissa sich neugierig und angelte erneut nach dem Schwamm, der ihr vor Schreck aus den Händen geglitten war. Das Mädchen stellte die Flasche ab, die sie umklammert gehalten hatte, und kniete sich neben dem groben, hölzernen Zuber auf den Boden. Mit sanfter Gewalt entwand sie Elissa den Schwamm und begann, ihr den Rücken zu schrubben. „Halil ist der Eunuch, der dich gekauft hat“, erwiderte sie, während ihre geübten Hände auf Elissas Rücken, der von der feuchten Wand in der abscheulichen Zelle wundgescheuert war, ein kleines Wunder bewirkten. „Ich werde dir helfen, dich zu säubern und …“, sie wies auf das Fläschchen, das neben der Wanne wartete, „ich habe eine beruhigende Salbe für deine Handgelenke und Knöchel.“ Elissas Gelenke hatten unter den harten Eisenfesseln gelitten und dort, wo die Haut aufgescheuert war, prangten entzündete, rote Male.
„Halil ist sehr gut zu uns Sklavinnen, solange wir ihm gehorchen“, plapperte Neslihan weiter. „Ich bin erst einmal geschlagen worden.“ Sie lächelte Elissa an, wobei ihre weißen Zähne in dem dunklen Gesicht aufblitzten. „Man hat mich vor vier Jahren aus meinem Dorf an der Küste von Mykonos geraubt.“ Die Art und Weise, in der sie strahlte, als sie ihr dies mitteilte, befremdete Elissa. „Meine Eltern wurden getötet, und all meine Geschwister an andere Kapitäne verkauft. Ich hatte Glück, dass Halil mich erstanden hat.“ Ihr Gesicht wurde wieder ernst. „Er hat mich in den Harem gebracht, und seitdem diene ich den großen Damen dort.“ Sie war damit fertig, Elissa abzuseifen und erhob sich, um ein großes Handtuch aus einer der vielen Kisten in der Kabine zu ziehen. Als sie sich Elissa, die aufgestanden war und vor Wasser triefte, mit dem bunten Leinentuch näherte, bemerkte sie trocken: „Du hast aber viele Haare.“ Errötend ergriff Elissa das Handtuch und bedeckte rasch ihre Blöße. „Vermisst du denn deine Eltern nicht?“, fragte sie, als sie sich trocken gerubbelt hatte, und griff nach einem der Kleider, die der Eunuch bereitgelegt hatte. Neslihan blickte sie einen Augenblick lang versonnen an, bevor sie antwortete: „Zuerst haben sie mir sehr gefehlt. Ich habe die ganze Zeit geweint. Doch dann habe ich langsam ihre Gesichter und Stimmen vergessen. Und die Hütte, in der wir hausten.“ Sie hob die Schultern. „Es ist sehr schön im Palast. Das Einzige, was furchtbar wehtat, war das Brandmal.“
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Das Mittelmeer, an Bord eines venezianischen Schiffes, Januar 1571
„Dort! Seht nur, dort!“ Angelina wies wild rudernd auf eine verschwommene, grüne Form am Horizont. Ein weiteres weißes Segel tanzte schlingernd auf dasselbe Ziel zu. Während der vergangenen Stunden hatten sie befürchtet, direkt in den Sturm zu segeln, der mehrere Meilen vor ihnen tobte. Glücklicherweise hatte sich dieser jedoch bereits gelegt, bevor er ihrer Karavelle gefährlich werden konnte. Die dunkelgrüne See gurgelte immer noch aufgewühlt, und der starke Wind, der die schweren
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