Die Töchter der Lagune
entronnen. Alle Segel waren losgeschnitten worden, und das nasse Gewirr der Taue wirkte wie ein zerrissenes Spinnennetz. Die Kanonen, die für gewöhnlich die Seiten des Schiffes spickten, waren auf Deck gezogen worden, um dort vertäut werden zu können, was der Karavelle ein merkwürdig zahnloses Aussehen verlieh.
„Es ist Cassio!“, verkündete der Offizier Giancarlo da Gama – ein Vertrauter Bragadins – aufgeregt, als er die Gestalt erkannte, welche die dicken Planken des eben vertäuten großen Schiffes hinabschritt. „Kommt, wir wollen sie begrüßen.“ Marcantonio Bragadin eilte auf den Landungssteg zu – die Arme in einer Geste des Willkommens ausgebreitet. „Cassio! Mein Gott! Wie schön, Euch zu sehen. Wir hatten schon das Schlimmste befürchtet.“ Cassio wirkte erschöpft. Sein Gesicht war grau und eingefallen, und in seinen Augen lag ein fiebriger Glanz. Das verzweifelte Ringen mit den Elementen hatte Spuren hinterlassen. Er ergriff Bragadins Arm und erwiderte den Gruß. „ Luogotenente , es ist mir eine Ehre.“ Er ließ die Augen zum Himmel schweifen, wo ein unschuldiges Blau an die Stelle der drohenden, grauen Sturmwand getreten war. „Die türkische Flotte ist gesunken.“ Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Zuerst starrten da Gama und Bragadin ihn lediglich mit offenen Mündern an. Doch dann drang die Bedeutung von Cassios Worten zu ihnen vor und ein Strahlen trat auf ihre Gesichter. Ehe die Männer jedoch in Jubel ausbrechen konnten, fügte Cassio ernst hinzu: „Aber wir haben die anderen verloren.“ Bragadins Gesicht umwölkte sich. Er hatte gehofft, dass Cassios Karavelle nur die Vorhut darstellte, und dass der Rest der Flotte bald folgen würde. „Christoforo Moro?“, fragte er angstvoll, aber Cassio hob die Schultern, und seine grünen Augen verrieten seine Sorge. „Sein Schiff ist neu und sein Kapitän erfahren. Deshalb hoffe ich, dass er dem Unwetter entkommen konnte.“
Bevor der Gouverneur etwas darauf erwidern konnte, rief der Ausguck, der auf der Arsenal Bastion postiert war, aus: „Schiff in Sicht!“ Und als ob es dadurch herbeigerufen worden wäre, umrundete ein weiteres venezianisches Kriegsschiff die Hafenbefestigungen und feuerte einen Salutschuss ab. „Das muss er sein!“, stellte Marcantonio Bragadin zuversichtlich fest. Um sie herum befolgten die Seeleute die ungeduldigen Befehle eines Offiziers und begannen mit dem Ausschiffen. Cassio, Bragadin und seine beiden Begleiter – Giancarlo da Gama und Massimo da Vicenzo – machten Platz, indem sie zu dem Hügel zurückkehrten, von dem aus man den Hafen überblicken konnte. „Seine Gemahlin begleitet ihn“, informierte Cassio den Mann, der in Friedenszeiten Herr der Zitadelle war. „Ein Muster an Tugendhaftigkeit und Schönheit“, beantwortete er die Frage, bevor sie gestellt werden konnte. Als das Schiff sich langsam näherte, fiel den ungeduldigen Beobachtern die Tatsache ins Auge, dass es keinerlei Schaden erlitten zu haben schien, da es voll betakelt und die Segel unbeschädigt waren. „Das muss Jagos Schiff sein. Sie haben einen anderen Kurs gewählt, um die Damen und den Proviant, der sich an Bord befindet, nicht zu gefährden.“ Während die Karavelle auf einen Landungssteg gegenüber demjenigen, an dem Cassios Schiff festgemacht hatte, zusteuerte, bahnten sich die vier Männer den Weg zurück. Sie kämpften sich durch den Fluss an Soldaten und Seeleuten, die mit Kisten, Säcken und Waffen beladen auf sie zuströmten. Gerade noch rechtzeitig erreichten sie den steinernen Kai, um mit anzusehen, wie die Planke herabgelassen wurde. Voller Bewunderung blickten sie den drei Damen entgegen, die mithilfe einiger Soldaten, graziös die Füße auf die wackeligen Bohlen setzten.
Als sie das Ende des Laufsteges erreichte, nahm die größte der drei Frauen dankbar Cassios Hand entgegen und beugte sich vor, um ihn auf beide Wangen zu küssen. Die anderen Männer verneigten sich vor den Damen. „Willkommen, Signora. “ Marcantonio war hingerissen von ihrem schönen, ernsten Gesicht, und als sie ihm die Hand anbot, hauchte er einen Kuss auf ihren Handrücken. „Wo ist Christoforo?“, erkundigte sie sich bei Casio, wobei eine dunkle Vorahnung ihre blauen Augen überschattete. „Was wisst Ihr von ihm?“ Cassio schüttelte hilflos den Kopf. „Ich habe ihn im Sturm verloren.“ Als Desdemona ihn daraufhin mit einer angstvollen Frage unterbrechen wollte, fuhr er wenig überzeugend fort. „Ich
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