Die Töchter der Lagune
bin sicher, er wird bald hier sein.“ Diese Neuigkeit war zu viel für sie. Nachdem sie seit dem Beginn des Unwetters um das Leben ihres Gemahls gebangt hatte, beraubte die plötzliche Enttäuschung sie ihrer Beherrschung, und sie wäre zusammengebrochen, hätte Cassio sie nicht gestützt.
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Eine Ebene in der Nähe der historischen Stätte von Ephesos, Januar 1571
Der Regen lief Mustafa Pascha in den Kragen, die Innenseiten seiner Reitleder waren steif vor Nässe und die Welle der guten Laune, die ihn bei ihrem Aufbruch getragen hatte, war schon längst der Verdrossenheit gewichen. Sie waren viel zu langsam – kaum zwanzig Meilen pro Tag. Er hatte beschlossen, den Sakarya Fluss entlangzumarschieren, bis sie die Berge erreichten, um sich dann nach Westen in Richtung Küste zu wenden. Auf diese Art würde ihnen nie das Süßwasser ausgehen. Eine Streitmacht von 150 000 Männern und beinahe 7000 Pferden war immer durstig – ganze Armeen waren von diesem gesichtslosen Feind ausgelöscht worden.
Sie hatten die antike Stätte der Stadt Ephesos erreicht, die einst Siedlung der Hethiter, Griechen und Römer gewesen war. In die sanften Hügel geschmiegt trotzten die weißen Ruinen dem unablässigen Nieselregen. Nicht viel war geblieben von der einstmals ruhmreichen Hafenstadt. Als das Hafenbecken im sechsten Jahrhundert nach Christus zunehmend versandete, gaben die Römer die Stadt auf, da sie ohne Zugang zur Ägäis wertlos für sie war. Einige schäbige Hütten waren in die Überreste der prachtvollen Gebäude eingebettet, doch so weit Mustafas Auge reichte, rührte sich kein Leben. Er gab seinem Hengst die Sporen und preschte an die Spitze der langen Schlange marschierender Soldaten, wobei er sich insgeheim fragte, ob sie ihr Ziel wohl noch rechtzeitig erreichen konnten.
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Zypern, ein offener Platz in der Nähe des Kais, Januar 1571
Angelina streichelte zärtlich über die blonden Locken ihrer Schwester, deren Ohnmacht ebenso schnell vergangen war, wie sie gekommen war. Cassio hatte sie auf einem der weichen Strohballen abgesetzt, die gerade erst entladen worden waren und dort sammelte sie nun neue Kraft. Die Männer hatten sich taktvoll von den beunruhigten Damen abgewandt und so getan, als müssten sie die Soldaten beaufsichtigen. Emilia kniete neben ihrer Herrin und tätschelte ihr die Hand, ohne auf die giftigen Blicke ihres Gatten zu achten.
„Sie sind unversehrt“, versicherte Angelina ihrer immer noch bleichen Schwester. Sie selbst hoffte inständig, dass sie mit dieser Behauptung recht hatte. Francesco war auf demselben Schiff wie Christoforo! Was, wenn ihre Karavelle in dem furchtbaren Unwetter zerstört worden und auf den Meeresgrund gerissen worden war? Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken. „Sie werden bald hier sein.“ Sie griff nach dem bestickten Taschentuch, das ihre Schwester geistesabwesend in ihren zitternden Händen knetete, und tupfte ihr die Tränen von den Wimpern.
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Jago beobachtete die Szene mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen. Frauen! Wie verachtenswert sie doch waren! Sie benutzten ihre Schwäche, um Männer dazu zu zwingen, ihnen zu Gefallen zu sein. Engelsgleich und voller Schmeicheleien in der Öffentlichkeit, doch tief im Grunde ihres Herzens falsch und berechnend. Wie meisterhaft sie alle die Kunst beherrschten, mit einer Unschuldsmiene zu verletzen. Was ihm bereits an Bord der Karavelle aufgefallen war, trat hier im Hafen, am Fuß der Zitadelle, noch deutlicher hervor: Wenn Desdemonas Augen vor Tränen schwammen und ihr Mund zitterte, als wären ihre Gefühle ernst, erinnerte sie ihn auf quälende Weise an Giulia. Er presste die Lider aufeinander und verfolgte voller Verachtung, wie die junge Frau um Fassung rang. „Oh Jago, es tut mir so leid“, hörte er die Worte in seinen Gedanken nachhallen, die er längst hatte vergessen wollen. „Bitte vergib mir!“ Er unterdrückte ein Schnauben. Als ob er jemals vergeben könnte, was Giulia ihm angetan hatte! Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Was war nur los mit ihm, dass er selbst immer wieder in der alten Wunde bohrte? Er ließ die Augen über die kleine Gruppe wandern, bereute es aber sofort, da sein Blick an Emilia haften blieb.
Der Anblick seiner Gemahlin, die sich rührend um die junge Metze des Generals kümmerte, brachte sein Blut zum Kochen. Wann hatte sie sich ihm das letzte Mal mit so viel Hingabe gewidmet? Mit dem
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