Die Töchter der Lagune
des Schiffes zu bringen.“ Marcantonio und Cassio wechselten einen kurzen Blick, während Jago in der Menge der geschäftigen Soldaten verschwand, um ein zufriedenes Lächeln zu verbergen.
Eine Zornesader war auf die Stirn des Generals getreten. Mit energischen Schritten trat er zu den jungen Liebenden und blickte mit strengem Gesicht auf Angelina hinab. „Ich sollte dich sofort zurückschicken!“, knurrte er. Als er jedoch den Schrecken in den verängstigten Augen seiner Schwägerin sah, hatte er Schwierigkeiten, die böse Miene aufrechtzuerhalten. Was scherte es ihn, ob seine Gemahlin ihre Schwester um sich hatte oder nicht? Schließlich konnte ihr Vater ihm nicht vorwerfen, auch sie entführt zu haben! „Du hast Glück, dass ich guter Laune bin. Und dass das Meer im Moment viel zu gefährlich ist, um dich nach Venedig zurückzuschicken.“ Er legte Francesco eine schwere Hand auf die Schulter. „Aber du solltest vorsichtig sein, mein Junge“, warnte er. „Eine Frau, die nicht gehorcht, kann ebenso störrisch sein wie ein Maulesel!“ Mit diesen Worten wandte er sich wieder seiner Gemahlin zu, legte ihr den Arm um die Schultern und steuerte auf die dicken Festungsmauern zu.
Kapitel 18
Der Bosporus, an Bord eines osmanischen Schiffes, Januar 1571
Elissas Wunden waren gut verheilt – dank der kundigen Hilfe Neslihans, die zu ihrer täglichen Begleiterin geworden war, und auf einem dünnen Teppich vor ihrer eigenen engen Koje die Nächte verbrachte. Sie wusste nicht, wie lange die Reise gedauert hatte, doch ihre kleine Helferin hatte sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie sich dem Ende näherte. Halil, der Eunuch, ließ die Mädchen die meiste Zeit über alleine, doch in der vergangenen Nacht hatte er zusammen mit einem anderen Mann, den er als den Hekim – den Doktor – vorgestellt hatte, die Kajüte betreten. Der alte Mann hatte Elissas Handgelenke und Knöchel sorgfältig untersucht, freundlich genickt und etwas gemurmelt, das Elissa nicht verstand.
Sie hatte seit ihrer Befreiung aus der schrecklichen Gefängniszelle im Bauch des Schiffes viel geweint. Aber Neslihans Anwesenheit und ihre eigene traurige Geschichte hatten es ihr erleichtert, die Dinge, die ihr widerfahren waren als Kismet – Schicksal – zu akzeptieren. Sie hatte viele Stunden damit verbracht, dieses Konzept des Unausweichlichen mit ihrer Begleiterin – die viel zu weise für ihr Alter schien – zu diskutieren. „Wir haben den Bosporus erreicht!“, informierte Neslihan sie mit leuchtenden Augen, nachdem sie durch eines der winzigen Bullaugen gelugt hatte. Vor den Fenstern herrschte noch Finsternis, doch das rosige Rot der Dämmerung kroch den östlichen Horizont hinauf. Die Mädchen hatten bereits gefrühstückt, und nachdem sie ihr eigenes und Elissas langes Haar mit großer Geschicklichkeit geflochten hatte, entzündete Neslihan ein Feuer in dem Kohlebecken und brühte den starken Pfefferminztee auf, den Elissa in den letzen Tagen zu schätzen gelernt hatte. Als Frauen war es ihnen untersagt, das berüchtigte pechschwarze Gebräu, das einige der Männer aus winzigen Schalen schlürften, zu trinken. Wie Neslihan berichtete, war das Getränk, das Qahwa oder Kaffee genannt wurde, heftig umstritten. Es gab Moralisten, die den Trank als ein gefährliches Rauschmittel ansahen und einen Kampf gegen die Kaffeehäuser ausfochten, die in der gesamten islamischen Welt wie Pilze aus dem Boden schossen. Doch hochrangige Kaffeetrinker wie der Sultan selbst standen dieser Ansicht mit wenig Wohlwollen gegenüber und verhinderten die Einführung von Gesetzen, welche den Verzehr des schwarzen Giftes verbieten sollten.
„Sieh nur, das ist das Goldene Horn!“ Neslihan ergriff Elissas Hand und zog sie auf das Fensterloch zu. Sie segelten einen engen Kanal entlang, an dessen westlichem Ufer die dunklen Umrisse prächtiger Bauwerke in den frühmorgendlichen Himmel aufragten. „Das musst du dir ansehen!“ Ehe Elissa sie daran hindern konnte, hatte Neslihan die niedrige Tür ihrer Kabine aufgerissen und bombardierte den Wachmann davor mit einem Feuerwerk an Worten in der Sprache der Osmanen. „Komm.“ Sie eilte zurück und zog zwei wollene Überwürfe aus einer Truhe. „Zieh dir das über Kopf und Schultern, dann frierst du nicht“, ermahnte sie Elissa, die sich von der Aufregung des Mädchens hatte anstecken lassen. Nicht sicher, wie viel Aufmerksamkeit sie dem riesigen Soldaten vor der Tür zollen sollte, huschte sie
Weitere Kostenlose Bücher