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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Handflächen aneinander. „Aber, wenn ich die Wahrheit sage, sollte ihm das nicht schaden.“ Cassio hatte erneut den Kopf gesenkt und schien in die Betrachtung des Sandsteins unter seinen Füßen versunken. „Ich habe mich mit Marcantonio unterhalten, als wir einen Hilfeschrei hörten. Dann kam ein Kerl in den Hof gerannt – mit Cassio auf den Fersen. Der Luogotenente ging dazwischen und beschwor Cassio, von dem Mann abzulassen, da er bereits am Boden lag. Ich half ihm wieder auf die Beine und er hat sich davongemacht. Ich bin ihm nach und habe deshalb nicht gesehen, was weiter im Hof geschah. Als ich zurückkam, schlugen Cassio und Bragadin aufeinander ein – so wie es eben noch der Fall war. Mehr weiß ich nicht.“ Er hielt einen Moment lang inne, bevor er hinzufügte. Aber ich bin sicher, dass Cassio von dem, der geflohen ist, ein Unrecht zugefügt wurde.“
     
    Eine steile Zornesfalte hatte sich in Christoforos Stirn gegraben. Er ließ den gefährlichen Stahl zurück in die Scheide gleiten und legte Jago schwer die Hand auf die Schulter. „Ich weiß, dass Ihr diese Angelegenheit beschönigt.“ Daraufhin wandte er sich an seinen Stellvertreter und fuhr fort: „Cassio, ich schätze Euch hoch, aber dieser Vorfall lässt mir keine Wahl. Ihr seid nicht länger mein Oberstleutnant!“ Brüsk wandte er der Versammlung den Rücken und stürmte in Richtung des Hauptgebäudes davon. „Bringt ihn zum Arzt“, befahl er barsch, als er an den Soldaten vorbeistob, die den ohnmächtigen Bragadin stützten.
     
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    Hoch oben im Turm, in der muffigen Kammer, presste Desdemona die Hand vor den Mund – erschreckt von der Gewalt, deren Zeugin sie geworden war. Entsetzt über die Härte, die ihren sanften, liebevollen Gemahl in ein Geschöpf verwandelt hatte, das sie nicht kannte.
     
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Konstantinopel, Topkapi Palast, eine Kammer im Hamam des Harems, Januar 1571
     
    Elissa kam in kalten Schweiß gebadet zu sich. Die beiden Männer, die sie festgehalten hatten, waren von der Bank zurückgetreten, während der dritte das Brandeisen in das Kohlebecken zurückgesteckt hatte. Als sich das weiß glühende Eisen in das weiche Fleisch ihrer rechten Hinterbacke gefressen hatte, hatte sie das Beißholz zwischen ihren Zähnen entzwei gebissen und einen Schmerzensschrei ausgestoßen, der ihr eigenes Blut hatte erstarren lassen. Zuerst hatte sie nur verbranntes Fleisch gerochen und eine merkwürdige Kälte auf der Haut gespürt. Doch dann – ganz unvermittelt – hatte ein unbeschreiblicher Schmerz ihren gesamten Körper ergriffen. Und sie hatte sich vor Qual gewunden und versucht, gegen die Fesseln und die Männer, die ihre Arme und Beine an die Liege nagelten, anzukämpfen. Gnädigerweise hatte das Bewusstsein sie verlassen, als der Schmerz unerträglich wurde. Nun, da das Brandmarken ausgestanden war, stahlen sich ihre Sinne zurück in den erschlafften Körper.
     
    Sie blinzelte Tränen und Schweiß aus den halb geschlossenen Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Um ein Haar hätte sie sich erbrochen. Die gesamte Kammer stank nach verbranntem menschlichem Fleisch, und der süße Geruch kroch in ihre Lungen hinab. Als ein Hustenanfall sie schüttelte, bereute sie, dass sie aus der glückseligen Taubheit erwacht war, die sie umfangen hatte. Von ihrer Rückseite liefen Wellen des Schmerzes über ihren Rücken und ihre Beine, die so schweißnass waren, dass sie aneinander klebten. Ihre rechte Hinterbacke schien das Zentrum dieser pochenden Pein zu sein. „Oh Gott“, flüsterte sie tonlos zwischen Schluchzern, die von einem Schluckauf unterbrochen wurden. „Warum geschieht das mit mir?“
     
    „Es ist bald vorbei“, antwortete eine sanfte Stimme. Erschrocken vergaß Elissa einen Wimpernschlag lang ihren Schmerz und verrenkte sich den Hals, um das Mädchen im blauen Kaftan anzublicken, das ihr das eigene Brandmahl gezeigt hatte. „Ich werde ein wenig Salbe darauf streichen“, bot es an. „Es wird wehtun, aber dann spürst du bald Linderung.“ Elissa hoffte, dass dies Versprechen der Wahrheit entsprach. Mit geschickten Bewegungen löste die junge Frau die Riemen, die Elissa an die Liege gefesselt hatten, und inspizierte die frische Wunde. „Es sieht gut aus“, bemerkte sie sachlich, bevor sie ein wenig von der flüssigen Salbe auf ihre Handfläche goss. „Erschrick nicht“, warnte sie, und Sekunden später berührte die kühle Substanz die brennende Wunde. „Autsch.“ Elissa zog durch

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