Die Töchter der Lagune
im Inneren der Stadt verfolgten die Männer, Frauen und Kinder die Szene mit furchtsam geweiteten Augen. Viele trugen noch ihre besten Gewänder, da sie wie die anderen Einwohner gefeiert hatten, doch einige der Zuschauer wirkten zerzaust und verschlafen. Kleine Kinder umklammerten die Hände ihrer Mütter – die Daumen in kleinen Mündern verstaut – während die jüngeren Männer dem Streit mit halb professionellem Interesse folgten. Alle, ob Zyprioten oder Venezianer, halfen bei der Verteidigung der eingeschlossenen Stadt, und so wusste ein jeder, wie gefährlich ein solcher Kampf, Mann gegen Mann, war. Die Feiernden im Innenhof der Zitadelle hatten ihr ausgelassenes und wildes Treiben eingestellt und kamen auf den Kampfplatz zugeeilt. „Hört auf, Oberstleutnant!“ Marcantonio Bragadin und Jago hatten den erzürnten Cassio erreicht und versuchten, ihn zur Vernunft zu bringen. Bragadin ergriff seinen Schwertarm, der hoch über seinem Kopf in der Luft zitterte.
„Oberstleutnant, hört sofort auf!“, befahl er. „Der Mann ist verletzt!“ Mit einer ärgerlichen Bewegung befreite Cassio seinen Arm und wirbelte zu Bragadin herum – das Gesicht vor blinder Wut verzerrt. „Lasst mich los, Signore !“, fauchte er. „Oder ich muss Euch niederschlagen!“ Er warf das Schwert von der Rechten in die Linke und holte drohend mit der Faust aus. „Kommt, kommt, Ihr seid betrunken“, versuchte Bragadin ihn zu beruhigen, doch das waren die falschen Worte. „Betrunken?! Das ist dieselbe Beleidigung, für die dieser Bastardo bezahlen musste!“, donnerte Cassio und führte einen Hieb auf den Kiefer des Luogotenente, den er nur um wenige Zoll verfehlte, da sein Schlag lediglich die kühle Nachtluft zerschnitt. „Lasst das, Signore !“, rief Marcantonio Bragadin ärgerlich, und seine Hand wanderte zum Griff seines Schwertes. „Oder wollt Ihr mich herausfordern?“ Cassios Stimme war rau vor Wut, als er eine unverständliche Erwiderung knurrte, und er hob sein Rapier, dessen Spitze rot von Rodrigos Blut schimmerte. Als Christoforo Moros Stellvertreter war er dem Statthalter von Famagusta gleichgestellt. Daher konnte er es nicht zulassen, dass der Mann ihn beleidigte und vor all seinen Soldaten seine Autorität untergrub. Mit einer Bewegung, die so schnell war wie das Zustoßen einer Schlange, schlitzte er Bragadins Wams auf. Er hatte auf dessen Oberkörper gezielt – willens das Leben des anderen zu nehmen – da jegliches Gefühl der Angemessenheit von einem Schleier des Hasses verwischt war.
Jago, der dem gefallenen Rodrigo auf die Beine geholfen hatte, flüsterte dem zitternden Lebemann ins Ohr. „Lauft! Geht und schreit etwas von einem Aufruhr!“ Sobald Rodrigo um die Ecke verschwunden war, wandte er sich wieder den keuchenden Kämpfern zu, wobei er sich innerlich die Hände rieb. „ Signori ! Vertragt Euch!“ Als er versuchte, die beiden Männer zu beschwichtigen, begann im Inneren der Festung bereits eine schrille Glocke zu läuten. „ Signori, ihr bringt die ganze Stadt auf die Beine. Beendet Euren Streit!“ Allerdings hatten seine Worte – wie vorhergesehen – keinerlei Wirkung auf die inzwischen verwundeten und blutenden Kämpfer.
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Verborgen im Torbogen des hohen runden Turmes der Zitadelle beobachtete Francesco das Spektakel neugierig. Obgleich der Eingang zum Hof nur von zwei halb niedergebrannten Fackeln beleuchtet wurde, hatte er den Kämpfer, den Cassio die Treppe hinaufgetrieben hatte, als den Mann erkannt, mit dem Jago am späten Nachmittag gesprochen hatte. Wer war er? Er war sich beinahe sicher, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben, obwohl irgendetwas daran nicht zu stimmen schien. Während er sich das Gehirn zermarterte, beschloss er insgeheim, in der Zukunft ein Auge auf seinen vorgesetzten Offizier zu haben.
Kapitel 20
Zypern, eine Kammer in der Zitadelle, Januar 1571
Desdemonas Kopf ruhte an der Schulter ihres Gemahls. Nachdem die erste Welle der Lust verebbt war, hatten sie sich ein zweites Mal geliebt – hatten sich Zeit genommen, den Körper des anderen zu erforschen. Fingerspitzen waren über glühende Haut getanzt und hatten die geheimen Stellen entdeckt, die den Innamorato beinahe um den Verstand brachten. „Es ist so unglaublich“, flüsterte Desdemona, während ihre Hände Christoforos Bauch streichelten. „Deine Haut ist so samtig und schön!“ Die dunkle Färbung seines Körpers faszinierte sie. Die einzige Unregelmäßigkeit der
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