Die Töchter der Lagune
einen Ort, an dem sie solchen weiblichen Pflichten wie dem Besticken, Nähen und Weben von neuen Gewändern nachgehen und gleichzeitig über die Dinge plaudern konnten, die sie am meisten beschäftigten in diesen unruhigen Zeiten. Obgleich keine von ihnen die volle Bedeutung der Tatsache verstand, dass sich die feindliche Armee im Anmarsch befand, war die Nervosität der Männer ausgeprägt genug, um sie mit Furcht zu erfüllen.
„Es ist das Gleiche mit Francesco“, erwiderte Angelina und blies eine dicke Staubschicht von einem zerbrochenen Stuhlbein, bevor sie es in einen Weidenkorb pfefferte, der bereits halb voll war mit Gerümpel. „Er versucht, seine Aufregung zu verbergen, wenn er bei mir ist, aber ich spüre sie dennoch.“ Sie ließ sich schwer auf einen umgekehrten Holzeimer fallen, der ihnen als Sitzgelegenheit diente, und wischte sich mit dem Handrücken die Stirn. Eine Geste, die einen schmutzigen Streifen auf ihrer bleichen Haut zurückließ. „Christoforo hat mir Angst eingejagt, als er von diesem furchtbaren Vorfall in unserer Hochzeitsnacht zurückkam“, gab Desdemona zu, als sie sich an die Beklommenheit erinnerte, die sie bei seinem Wutausbruch umfangen hatte. „Aber seitdem ist er nicht ein einziges Mal aus der Haut gefahren. Er ist sogar noch beherrschter als zuvor.“ Beinahe zu beherrscht, fügte sie in Gedanken hinzu und entsann sich der vielen Male, als sie vergeblich versucht hatte, seine Gefühle zu lesen. Ihr Blick fiel auf das winzige Fenster vor ihr und wurde von einer fantastischen Wolkenformation angezogen, welche die Strahlen der goldenen Nachmittagssonne zu kämmen schien. „Aber ich kann fühlen, dass tief in seinem Inneren etwas am Kochen ist, etwas, dessen er sich nicht bewusst ist – etwas, das ihn bis in seine Träume verfolgt.“ Sie hielt einen Augenblick inne, um einen alten, verrosteten Eisenschürhaken aufzuheben, der zu dem kleinen Kamin in der östlichen Ecke der Kammer gehört hatte. „Manchmal schläft er schlecht, und ich werde mitten in der Nacht wach, wenn er unverständliches Zeug murmelt.“ Oft schlummerte er, nachdem sie sich geliebt hatten, an ihre bloßen Brüste gekuschelt in ihren Armen ein – nur um in einen oberflächlichen, unruhigen Schlaf zu fallen, der ihm nicht genügend Ruhe zu geben schien. Als sie ihn allerdings gefragt hatte, was ihm die Ruhe stahl, hatte er ihr eine ausweichende Antwort gegeben. Sie runzelte die Stirn.
„Vielleicht ist es die enorme Last der Verantwortung, die ihn erschöpft“, vermutete Angelina. Niemand wusste Genaueres über die Stärke der Streitmacht, die sich der Insel näherte. Doch ihnen allen war die Schwäche ihrer eigenen Lage schmerzlich bewusst. Der unablässige Kanonendonner erinnerte sie täglich daran. Was würde geschehen, wenn die Osmanen die Stadt stürmten, und ihr Kommandant ihnen freistellte, sie zu plündern? Angelina schauderte bei dem Gedanken. Francesco hatte ihr mit den Geschichten über das Schicksal der Einwohner gefallener Städte Todesangst eingejagt. Sie hatte ihn mit schreckgeweiteten Augen angestarrt, aber er hatte ihr versichert, dass es unmöglich war, Famagusta einzunehmen. Der Befestigungsring war zu stark. Nicht einmal ein zwanzigfach überlegener Feind könnte solch ein ausgeklügeltes Verteidigungssystem überwinden, hatte er gesagt. Doch tief im Inneren ihres Bewusstseins nagte immer noch Unsicherheit, die sie rastlos werden ließ.
„Wie ist Francesco eigentlich?“, wechselte Desdemona das Thema. Angelina hatte ein paar rätselhafte Bemerkungen über ihren Liebhaber fallen lassen, doch bisher hatten die beiden Schwestern noch keine Gelegenheit gehabt, in Ruhe über solch delikate Angelegenheiten zu reden. Insbesondere seit Emilia, Jagos Gemahlin, als Zofe in Desdemonas Dienste getreten war. Angelina kicherte ausgelassen und sprang von dem Eimer auf, um eine Ecke des Tisches zu greifen, den Desdemona an die Wand rücken wollte. „Einfach großartig!“, schwärmte sie. „Er kann so herrlich starrköpfig sein!“ Desdemona hob die Brauen bei dieser eher zweifelhaften Tugend. „Aber er ist ein wunderbarer Liebhaber.“ Angelina hatte die Stimme gesenkt. „Stark, aber unglaublich zärtlich. Und er küsst wie ein Gott!“ Sie kicherte erneut lebhaft. Es war ihnen gelungen, den schweren Tisch ans Fenster zu schleppen, und Desdemona stellte ihn mit einem erleichterten Seufzer ab. Dann sah sie ihre Schwester, deren Wangen vor Anstrengung und Freude brannten, mit
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