Die Töchter der Lagune
Regeln befolgt, die vorschrieben, wie man sich in einem Unwetter dieser Stärke zu verhalten hatte, dann wäre es wenigstens einigen von ihnen gelungen, dem Sturm unbeschadet zu entkommen.
„Gelobt sei der Prophet, dass Ihr den Weitblick hattet, mit dem Hauptteil der Truppen über Land zu marschieren“, stellte einer von Mustafas getreuen Beratern ruhig fest und streckte die Hand aus, um dem Aga das beschmutze Stück Papier abzunehmen. Der Bote, der sich in eines der Zelte zurückgezogen hatte, welche die Soldaten vor den Mauern Antalyas errichtet hatten, war Tag und Nacht ohne Unterlass geritten, um dem General der osmanischen Armee die schicksalsschwere Nachricht zu übergeben. „Wir müssen diese Angelegenheit als Prüfstein unseres Glaubens sehen“, setzte der weise alte Mann hinzu und legte die Stirn in Falten, als er die hastig hingekritzelten Worte überflog. „Es ist Kismet , und wir müssen uns damit abfinden.“ Er legte Mustafa eine seiner faltigen Hände auf die Schulter. „Lasst uns ein wenig ruhen. Ein neuer Tag bringt neue Hoffnung.“
Er hatte recht! Mustafa wusste, dass es von Schwachheit zeugte, wenn er seinen Männern gegenüber Gefühle zeigte. Die vergangenen Wochen hatten jedoch einem Albtraum geglichen. Beinahe war es ihm erschienen, als hätten die dunklen Mächte sich gegen diesen Feldzug verschworen, der doch den Beherrscher der Gläubigen mit Ruhm überhäufen sollte. Obgleich er den schwachen Sultan verachtete, brannte Mustafa dennoch darauf, die Aufgabe zu vollenden, die Selims Vater, Süleyman der Prächtige, unvollendet gelassen hatte. Mit der Eroberung Zyperns würde das Osmanische Reich von Algerien bis Ägypten reichen, vom Roten bis zum Schwarzen Meer und somit die Walachei, Ungarn und Griechenland umfassen. Die Aneignung dieser strategisch bedeutsamen Insel würde sowohl die Pilgerroute nach Mekka als auch die Haupthandelswege zwischen Europa und dem Osten sichern. Er seufzte. „Du hast recht, Ismail. Lass uns etwas essen.“
Seit das Wetter sich gebessert hatte, war es seinen Jägern gelungen, genug Wild und Bergziegen zu erlegen, sodass die hungrigen Soldaten sich den Magen mit so viel Fleisch füllen konnten, wie sie wollten. Die üppige Vegetation im Umland von Antalya bot den scheuen Tieren reichlich Nahrung sowie Schutz vor Raubtieren. Sie waren den Ausläufern einer Gebirgskette gefolgt, bis sie den Nordosten der großen Stadt erreicht hatten – vorbei an Sandstränden und gewaltigen Wasserfällen. Er hatte seinen Männern gestattet, für eine Nacht das Lager aufzuschlagen, sodass einige von ihnen sich unter den rauschenden Kaskaden säubern konnten. Die Länge des Zuges hatte es allerdings unmöglich gemacht, dass alle in den Genuss dieses kleinen Luxus kamen. Wenn jedoch das Wetter – das vor zwei Tagen in milde Frühlingstage und kühle, aber trockene Nächte umgeschlagen war – stabil blieb, konnten sie Latakia, den Hafen, von dem aus sie Segel setzen würden, innerhalb der nächsten sechs Wochen erreichen. Dort würden seine Männer Gelegenheit haben, ihre dringenden Bedürfnisse zu befriedigen.
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Konstantinopel, Topkapi Palast, ein Garten im Harem, Februar 1571
„Nein, nein, nein!“ Neslihan schlug mit gespielter Verzweiflung die Hände zusammen. „Es ist ein ü , kein i. Du musst die Lippen ein wenig mehr runden.“ Die beiden Mädchen saßen auf einer Bank in einem der Gärten, welche die Harems gebäude umgaben. Der Himmel strahlte in einem klaren Azurblau, und die warme Sonne liebkoste ihre unbedeckten Gesichter. Elissa trug einen kostbaren, leichten Kaftan, den sie in einer der Truhen in ihrer Kammer entdeckt hatte, und der sehr eng geschnitten war. Nur jeder dritte Knopf war geschlossen, sodass das Gewand bei jeder Bewegung aufklaffte und den Stoff der fliederfarbenen Hirka – des kürzeren Kaftans darunter – enthüllte. Neslihans dunkelorangener Kaftan, in den kleine Halbmonde gestickt waren, war bei Weitem nicht so auffallend wie Elissas. Sie hatten beide ihre Locken mit durchsichtigen Peçe bedeckt, die von kunstvoll bestickten Stirnbändern an Ort und Stelle gehalten wurden. Zu dieser Tageszeit war der Garten wenig belebt, da die meisten der anderen Frauen damit beschäftigt waren, ihre alltäglichen Pflichten zu erfüllen. Als Selims Lieblingskonkubine stand es Elissa ebenso wie den andern edleren Mitgliedern des königlichen Haushaltes frei, die Zeit zu verbringen, wie immer sie mochte. Jetzt, da Neslihan
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