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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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und der junge Mann, dessen bartloses Gesicht besorgt wirkte, sich aus dem Schatten der Blätter lösten. Nachdem sie aufgeschreckt wie gehetzte Hirschkühe den Garten mit den Augen abgesucht hatten, fielen sie einander in die Arme und tauschten einen leidenschaftlichen Kuss. „Das ist Hülya“, zischte Neslihan, die den rabenschwarzen Schopf erkannt hatte. Und der junge Mann, der blaue Baumwollhosen und eine kurze rote Jacke trug, war augenscheinlich ein Mitglied der Janitscharenschule. Sein Kopf wurde von einem weißen Turban mit Fransen vor dem Gesicht bedeckt, und an der Schärpe um seine Taille baumelte ein stumpfes Übungsschwert. „Sie werden furchtbar bestraft werden, wenn man sie erwischt“, hauchte Elissas kleine Begleiterin, die um das Paar bangte, das offensichtlich rettungslos ineinander verliebt war. Den Janitscharenrekruten war es nicht gestattet, Kontakt mit Frauen zu unterhalten, bevor sie vollwertige Mitglieder der gefürchteten Truppe waren. Und jeder Mann – egal von welchem gesellschaftlichen Rang – wurde gnadenlos bestraft, wenn er mit einer Frau ertappt wurde, die dem Sultan gehörte.
     
    „Lass uns nachsehen, woher er gekommen ist“, drängte Elissa, als die beiden um eine Ecke verschwunden waren, und eilte zu der Stelle hinüber, an der Hülyas Liebhaber aufgetaucht war. Sie bog die dicken Zweige der Olivenbäume zur Seite und kämpfte mit ihrem Gewand, das sich mehr als einmal verfing, bis sie schließlich die moosbewachsenen Steine der Mauer vor sich erblickte. Das dichte Blätterwerk verhinderte, dass das Sonnenlicht den feuchten Boden erreichte, und es war relativ düster im Schutz der hohen Bäume. „Dort!“ Neslihan, die ihr gefolgt war, zeigte auf eine schwarze Spalte in der grauen Wand. Als sie sich der Stelle näherten, erkannten die Mädchen, dass, was wie ein verfaulter Zahnstumpf aussah, in Wirklichkeit eine uralte Holztür war, die in den angrenzenden Garten führte. Mit klopfendem Herzen rüttelte Elissa daran, aber sie war zu schwer für sie. „Nicht!“, warnte Neslihan. „Auf der anderen Seite sind sicherlich Wachen postiert!“ Es war Wahnsinn. Das Paar musste von Sinnen sein! Die Mädchen zogen sich wieder zu ihrer Bank in der Sonne zurück und starrten einander ungläubig an. „Die anderen Frauen werden nicht einen Moment lang zögern, Hülya zu verraten, wenn sie davon erfahren.“ Neslihan hatte Elissa vor den brutalen Intrigen und der harten Hackordnung im Harem gewarnt. Jede der Frauen war darauf aus, zur Lieblingskonkubine des Sultans zu avancieren und Mutter des Thronerben zu werden. Und sie würden alles unternehmen, um diejenige zu Fall zu bringen, die Selims Gunst genoss. Vor Elissas Ankunft war Hülya das Lieblingsspielzeug des Herrschers gewesen, und dementsprechend der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der eifersüchtigen Gemahlinnen und Sklavinnen. Und viele von ihnen trugen ihr das immer noch nach.
     
    „Wir sollten ihnen eine Warnung zukommen lassen“, schlug Elissa vor, doch Neslihan schüttelte energisch den Kopf. „Nein, sie kennen das Risiko, das sie eingehen, und es ist besser, wenn niemand erfährt, was wir gesehen haben. Die Wände im Harem haben Ohren!“ Sie versanken eine Weile in brütendes Schweigen – alle Gedanken an den Sprachunterricht vergessen, verdrängt von dem Bewusstsein, ein folgenschweres Geheimnis zu teilen. „Meine Blutung ist diesen Monat ausgeblieben“, platzte Elissa plötzlich heraus. Sie hatte mit sich gekämpft, ob sie mit irgendjemandem teilen sollte, was ihr Körper versuchte, ihr mitzuteilen. Doch bis jetzt hatte sie weder den Mut noch das Vertrauen aufbringen können, die Wahrheit zuzugeben. „Ich bin schwanger!“ Neslihan starrte sie ungläubig an. „Oh, Allah“, wisperte sie. „Dann solltest du anfangen zu beten, dass der Sultan genügend Wachen zur Verfügung hat, denn sonst wird dein Schlaf vergiftet sein.“

Kapitel 23
     
Zypern, eine Kammer in der Zitadelle, März 1571
     
    „Ich weiß nicht, was es ist.“ Desdemona blickte Angelina mit sorgenerfüllten Augen an. „Er wirkt einfach so abwesend in letzter Zeit.“ Ihre blonden Locken waren zerwühlt vom Stöbern in der staubigen Kammer hoch oben im Burgfried – dem Raum, von dem aus sie vor neun Wochen die beunruhigende Szene im Innenhof mit angesehen hatte. Sie hatte die Idee wiederholt verworfen, sich dann aber doch dazu durchgerungen, die kleine Kammer zu säubern und sie in eine Zuflucht für sich und ihre Schwester umzuwandeln –

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