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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Brantenberg
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herab, den Jungen Nahrung zu verschaffen, nachdem die Mutter die Eier allein ausgebrütet hat.“
    „Dafür kann aber beispielsweise der Hahn Kikeriki machen“, rief Ann. „Ja, eben“, antwortete Herrlein Uglemose, „eine völlig sinnlose Eigenschaft. Nachdem die Wibschen die Tiere zivilisiert hatten, mußten sie sie notgedrungen zu etwas verwenden. Wozu könnte ein Hahn oder ein Ochse, ein Eber, ein Widder oder Hengst wohl gebraucht werden? Warum machen sich die Leute auf einem Bauernhof jedesmal soviel Gedanken, wenn ein männliches Tier geboren wird? Sie werden mindestens geschlachtet, dafür sind sie gut. So kriegen die Wibschen Fleisch. Einige werden als Zuchttiere zurückbehalten, und die benehmen sich oft so unmöglich, daß sie in extra Gehege gesperrt werden müssen. Doch bei den weiblichen Tieren ist das ganz anders. Bei ihnen sehen wir auch wieder, daß die Weibchen auf vielfältige Weise zur Erhaltung des Lebens beitragen. So können die geschlechtsspezifischen Produkte, wie Milch und Eier, von den Wibschen genutzt werden. Die Männchen können nichts dergleichen beisteuern und stehen deshalb nicht so hoch im Kurs. Die männlichen Exemplare werden dagegen, außer für die Zucht, nur zum Vergnügen der Wibschen benutzt. In früheren Zeiten gab es Stier-und Hahnenkämpfe. Und heute gibt es den großen Gimpelwettbewerb und den Widderlauf im Herbst.“
    Das Herrlein hörte plötzlich ein Kichern in den hinteren Reihen der Klasse. Ein zusammengefalteter Zettel flog einige Bänke weit. Er marschierte los, riß den Zettel an sich und öffnete ihn. Mit großen Buchstaben stand da ,Weitergeben' und darunter präge mich nur, warum das Herrlein bislang nicht als so eine unnütze Kaulquappe entlarvt wurde. Oder ist er vielleicht beim Gimpelwettbewerb im Herbst mit dabei? Das Herrlein schaute von dem Zettel auf und versuchte vergeblich, seine Würde zu wahren. Er war wütend und verzweifelt. Tausende von wirren Gedanken gingen ihm durch den Kopf. War die ganze Stunde sinnlos gewesen? Oder eben gerade das Ergebnis des Unterrichts in Übereinstimmung mit dem Rundschreiben Nr. 287? Er wurde unterbrochen. „Warum hast du nie ein Vaterschaftspatronat bekommen, Herrlein?“ fragte Ba.
    Das Herrlein wurde puterrot. Einige kicherten, andere sagten: „Halt die Klappe.“ Es wurde still in der Klasse. Alle sahen ihn an. Sie forderten eine Antwort. Selbst wenn das Ganze nur als Scherz gemeint war, mußte er antworten. Herrlein Uglemose schluckte.
    „Die Frauen wissen, daß sie tüchtiger sind als die Männer. Sie sind intelligenter und effektiver. Die Frau ist die geborene Führerin.“
    „Was hat denn das damit zu tun?“ Wieder war es Ba.
    „Es hat was damit zu tun, denn die Frau will auf keinem Gebiet einer Überlegeneren begegnen. Auch wenn die Frau besser und vor allem praktischer ausgestattet ist als der Mann, gibt es doch etwas, worin sie dem Mann unterlegen ist, nämlich die physische Stärke.“ Das Herrlein war erzürnt. Er redete sich warm. Das Rundschreiben Nr. 287 war wie weggefegt.
    „Nun wird physische Stärke allerdings als etwas sehr Weibliches angesehen“, fuhr Herrlein Uglemose fort. „Darum haben die Frauen von klein auf ein viel härteres körperliches Training als die Männer. Denkt nur an den unterschiedlichen Mädchen- und Jungensport. Die Mädchen heben schwere Gewichte, stoßen Kugeln und wetteifern im Dauer- und Hindernislauf, während die Jungen graziöse Gymnastik machen und lernen, wie dam sich richtig bewegt, damit sie dem Auge einen erfreulichen Anblick bieten. Das ist eben ein Bereich, wo wir bemüht sind, das Unrecht der Natur auszugleichen. Dennoch gibt es einige Männer, die größer und kräftiger sind als die meisten Frauen. Diese Männer bekommen meistens kein Vaterschaftspatronat. Ich gehöre zu denen.“
    Das zu äußern kostete Herrlein Uglemose eine ziemliche Überwindung. So deutlich hatte er es noch keiner Wibsche gesagt. Er konnte sich im großen und ganzen glücklich schätzen, eine solche Stellung wie seine bekommen zu haben. Die meisten Männer von seiner Größe mußten die härtesten Arbeiten bei den Reinemache- oder Küchenkolonnen verrichten, oder sie wurden einfach nach Fallüstrien abgeschoben.
    Als Heranwachsender hatte er alles mögliche versucht, seine körperlichen Kräfte nicht zu entwickeln. Meistens hatte er zu Hause bei seinem Vater gesessen und gestickt. Es half nichts. Als er dreizehn war, hatte er seine Mutter im Armedrücken besiegt. Die alte

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