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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Brantenberg
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obendrein auch noch aller Welt demonstriert werden, wie blödsinnig sie eingerichtet waren? Warum war es ihnen nicht wenigstens erlaubt, ihren schändlichsten Körperteil zu verstecken, wenn er schon so anstößig war? Petronius wünschte sich weit weg. Er dachte daran, wie schrecklich es war, den Rest seines Lebens nicht hinter der verschlossenen Tür seines Zimmers verbringen zu können. Wie schrecklich, daß er gezwungen war, sie wieder zu öffnen, durch die Wohnung zu gehen und seinen Eltern Rede und Antwort zu stehen. Er wünschte sich in ein körperloses Wesen verwandeln zu können, das einfach aus dem Fenster zu einer Wolke hinschwebte und dort blieb — ohne seinen schändlichen Körper. Dort würde er dann das verwirklichen können, was in seinem Kopf war. Er würde die Wolke zu einem Ort lenken können, der ganz und gar anders war als der, an dem er jetzt sein mußte. Ein Ort, wo ihn zwei liebevolle Arme umfingen und er wieder Körper werden durfte. Die Wolke, stellte er sich vor, würde für ihn Liebe und Zärtlichkeit sein, würde ihn umarmen und ihn nie, nie, nie daran erinnern, daß er etwas zwischen den Beinen hatte.
    Ob es einen solchen Ort nicht gab? Gab es kein Wesen, das ihn dorthin entführen konnte? Gro? Wo war sie? Warum kam sie nie? Konnte sie nicht kommen und ihn zu einem Ort mitnehmen, der ganz anders war als der mit dem Taucheranzug und dem PH...?

Er wird der Ihre

    Dort, wo die Maibucht am weitesten ins Land vordrang, lag eine Fischerhütte. Eine richtige Fischerhütte, wie sie im Märchen vorkommt, mit einem Strohdach, kleinen Fenstern, zwei Schornsteinen und einer schmalen Steintreppe. Sie war so malerisch, daß sie in den vielen Prospekten über Egalsund immer wieder mit dem Text „Das alte Luksus; Fischerhütte aus der guten alten Zeit“ auftauchte, mal von der See aus fotografiert, mal von der anderen Seite der Bucht durch den Eichenwald oder aus der Luft aufgenommen.
    Vor der Hütte befand sich ein kurzer Anlegesteg und seitlich von ihr ein verfallener Schuppen, etwa dreimal so groß wie die Hütte. Diese Hütte gehörte zu Petronius’ frühesten Kindheitserinnerungen. Sie gehörte in seine Vorstellung vom Dasein. Als er klein war, hatte er mit seinem Vater oft Spaziergänge am Strand entlang gemacht, die immer damit endeten, daß beide auf der anderen Seite der Bucht ausruhten und zur Hütte hinübersahen. Einmal hatte ihm der Vater verraten, daß Petronius im Eichenwald hinter der Hütte gezeugt worden war.
    Wegen dieser frühen Erinnerungen fühlte Petronius einen seltsamen Anspruch auf diesen Ort. Solange er ihn kannte, war er nie bewohnt gewesen. Die Hütte war stets verriegelt und verrammelt. Er hatte längst von ihr gewußt, bevor sie in den Prospekten auftauchte. Er fand die Abbildungen entweihend, sie kamen ihm wie eine unanständige Zurschaustellung von etwas Geheimem und Gutem vor. Auf seine Frage, wem sie gehöre, hatte die Mutter ihm erklärt: „Bestimmt irgendwelchen Leuten von der Maibucht, den wenigen, die beim großen Niedergang nicht verkaufen mußten.“ Die meisten Fischerhütten waren dem Erdboden gleichgemacht oder restauriert worden. Petronius träumte oft davon, daß er in der Fischerhütte wohnte, wo nie eine kam und ihn störte, daß er drinnen saß, durch die kleinen Scheiben hinaus aufs Wasser blickte und seine Gedanken mit den Wellen treiben ließ. Er hatte schon immer dicht am Wasser wohnen wollen. Oben in einem Hochhaus, mit Aussicht auf das weit, weit entfernte Meer, wie sie jetzt lebten — das war etwas ganz anderes. Am Wasser wohnen bedeutete, daß dam die kleinen Kräuselwellen, die Wellenberge und — täler beobachten konnte, daß dam hörte, wenn sie vom Meer heranrollten und sich überschlugen, und dam ihren Geruch in den Nasenlöchern spürte. Mutter hatte ihm erzählt, daß die Leute nur in den romantischen Fischergeschichten so wohnten. Was solle denn werden, wenn alle am Wasser wohnen wollten? Es gebe Wibschen, die Wasser nie gesehen hätten. Er solle doch daran denken, daß er selber einem alten Bauerngeschlecht entstamme, das noch festen Boden unter den Füßen gehabt und die Realität des Lebens gekannt habe. Ob er denn glaube, sie hätten das Wasser vermißt? Er solle gefälligst lernen, sich ein bißchen sozialer zu verhalten. Wibsche sein bedeute erdverbunden sein, und es sei typisch männlich, immer irgendwelchen Träumen nachzuhängen und zu versuchen, den Anforderungen des Lebens zu entfliehen. „Das“, sagte Rut Bram, „ist

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