Die Toechter Egalias
nicht!“
„Nein, du kennst mich nicht, aber du liebst mich.“
„Ich war enttäuscht von dir.“
„Ja, ich weiß. Auch das ist ein Zeichen, daß du mich liebst. Wenn du mich nicht liebtest, würdest du auch nicht von mir enttäuscht sein. Liebe bedeutet Erwartungen haben. Hast du keine Erwartungen, wirst du auch nicht enttäuscht.“
„Du hast mir nicht geholfen, als ich überfallen wurde.“
„Vergewaltigt, meinst du. Ich habe es nicht gewußt. Ich hätte sie umgebracht. Keine darf dich anrühren.“
„Du hast seit dem Einführungsball nichts mehr von dir hören lassen.“
„Ich wollte schon, aber ich konnte nicht. Du bist so jung, erst sechzehn Jahre. Ich bin zehn Jahre älter als du, Petronius. Ich fand, ich sollte dich in Ruhe lassen. So habe ich nur deine Schuhe mitgenommen. Du hast mich öfter am Strand gesehen, ich habe da auf dich gewartet, aber du hast mich nicht wiedererkannt. Ich konnte dich um nichts bitten, du bist noch so jung. Und ich wollte, daß du von selber kommst.“ Und jetzt? dachte Petronius. Hieß das nun, daß ich von selber gekommen bin? Liebte sie ihn? War es das, was sie eigentlich sagen wollte? „Was war los auf der Anders Lovindus, als Lis Ödeschär versuchte...“ Gro ballte die Faust und starrte ihn an. „Sie hat sich erdreistet, zudringlich zu werden? Dieses alte Drecksweib!“ Petronius errötete.
„Sie hat doch sofort aufgehört“, murmelte er.
„Ich weiß, die hat ein Auge auf dich geworfen. Sie erwähnte etwas von einem Taucheranzug...“
„Ein schreckliches Ding. Der hatte... der hatte...“
„Einen PH. Ich weiß. Verrückt. Früher hatten Männer auf Luksus nie einen PH. Das ist so ein Modetrend in der oberen Gesellschaftsschicht, der jetzt offenbar alle Schichten erfaßt hat. Du bist jedenfalls süß. Ich mag dich mit oder ohne PH. Ödeschär soll ja ihre Finger von dir lassen. Glaube kaum, daß ich mit ihr noch länger arbeiten kann. Ich will mich selbständig machen.“
„Was willst du denn unternehmen?“
„Wieder in der Maibucht anfangen.“
„Du bist sonderbar.“
„Ja, ich bin sonderbar. Du kennst mich nicht. Du bist von mir enttäuscht. Ist der Ofen jetzt aus, junger Herr?“
„Im Gegenteil. Er hat gerade zu brennen begonnen.“
„Petronius!“ Sie stand auf und schlang die Arme um ihn. „Heißt das, ich soll dich beschützen? Irgendwann in der Zukunft?“
„M... m... meinst du, du w... willst mir das V... Vaterschaftspatronat geben?“
„Genau das.“ Gro nickte.
„Warum... warum bist du denn bloß nicht früher gekommen?“ flüsterte er.
„O heilige Mutter! Das ist eine lange Geschichte.“
Alles war so unwirklich, so wie im Märchen. Draußen rauschte das Meer, der Wind pfiff ums Haus, die kleinen Fensterscheiben waren mit Dunkelheit vollgesogen, die Flammen knisterten im Kamin. Petronius und Gro rückten eng zusammen und beobachteten das Spiel der züngelnden Flammen, während Gro ihm übers Haar strich. Es war nicht zu fassen; nein, völlig undenkbar, daß es nur eine Stunde von hier ein Hochhaus gab, wo Licht und Wärme von irgendwoher kamen, von einem mystischen Ort, der nichts Persönliches mehr an sich hatte, wo die Natur aus Straßenlampen, Autos, Parkplätzen und noch mehr Hochhäusern bestand, wo die Katzen bestenfalls auf den Balkons wohnten, wo der Wald zu nüchtern quadratischen Plätzen und gestutzten Parks geworden war. Einst, vor vielen, vielen Jahren, hatte es auf ganz Luksus ausgesehen wie in der Maibucht. Und die Leute hatten vor dem Kamin gesessen, und die Männer hörten ihren Frauen zu, wenn sie abenteuerliche Geschichten aus aller Welt erzählten.
Gro Maitochter und ihre stolzen Ahnen
Gro Maitochter wurde an einem beißend kalten Frühjahrsmorgen im Jahre 510 n. Kl., viereinhalb Seemeilen südlich von Spruten, in einem offenen Fischerboot bei Windstärke acht geboren. Ihre Großmutter, „die Sture von der Bucht“ genannt, hatte am Steuer gesessen, ihre beiden Tanten hatten die Netze eingeholt, und ihre Mutter war auf dem Boden des Bootes niedergekommen.
Die Großmutter hatte ihr später erzählt, daß Gros Mutter bei der Geburt doppelt so laut wie der Wind geschrien und die Herzen aller mit Stolz erfüllt habe. Das wurde niemals ausgelassen, wenn sie die Geschichte von Gros Geburt erzählte. „Doppelt so laut wie der Wind geschrien und die Herzen mit Stolz erfüllt.“ Und das jedesmal an Gros Geburtstag; offenbar konnte sie nur der Tod davon abbringen. „Du warst gleich so groß und
Weitere Kostenlose Bücher