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Die Toechter Egalias

Die Toechter Egalias

Titel: Die Toechter Egalias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Brantenberg
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auch der wichtigste Grund, warum der Seefrauenberuf nur ein Beruf für Frauen ist. Wären Männer zur See gefahren, hätte das für sie nur eine Flucht vor den Anforderungen der Realität bedeutet und sie wären jahrelang auf See geblieben.“
    Petronius fand den Gedanken betrüblich, daß es Wibschen gab, die nie Wasser zu Gesicht bekommen hatten. Es war so, als habe sie ihm erzählt, daß es Wibschen ohne Nase, ohne Ohren oder ohne Erinnerung gab.
    In jenem Frühjahr hatte Petronius bemerkt, daß Leute in die Maibucht zurückgekehrt sein mußten. Beim Vorbeigehen hatte Petronius öfters Geräusche gehört, die sich wie Sägen und Hämmern anhörten. Irgendwer hatte einige Bäume gefällt und das Gestrüpp vor der Hütte entfernt. Hinter ihr waren schmale Beete angelegt. Später bemerkte er, daß auch der Steg repariert worden war und gelegentlich eine kleine schwarze Katze zusammengerollt darauf lag. Sie blinzelte Petronius über das Wasser hinweg unergründlich an. Katzen besitzen ja die Fähigkeit, so zu tun, als seien sie ganz allein auf der Welt. Sie kratzte sich mit der Hinterpfote am Ohr und schlich sich zur Hütte, wo auf der kleinen Steintreppe für sie eine Schale mit Milch stand.
    Nach dem Überfall war Petronius nie mehr allein im Dunkeln durch den Wald gegangen. Eines Abends entdeckte er, daß er doch zu lange am Wasser geblieben war. Er saß am äußersten Ende der Maibucht an einen großen Stein gelehnt und träumte vor sich hin. Die kleinen Wellen machten an seinen Schuhspitzen ein glucksendes Geräusch, und als er endlich zum Himmel aufsah, fing es bereits zu dämmern an. Er wußte, daß es hier am Meer länger hell war als im Wald.
    Plötzlich hörte er ein Geräusch am Strand, wagte aber nicht, sich umzudrehen. Da war es wieder. Es schienen Schritte zu sein. Vorsichtig lugte er hinter dem Stein hervor. Eine dunkle Gestalt stiefelte hin und her. Sie hob nasse Bretter und Tang auf. An den Bewegungen konnte er erkennen, daß es eine Frau war. Er wußte nicht, ob er sich sicher fühlen oder fürchten sollte. Vielleicht war es gar nicht die, vor der er Angst hatte? Was, wenn er sie einfach fragte, ob sie ihn durch den Wald begleiten wolle, sie sich dazu bereit erklärte und ihn dann vergewaltigte? Petronius hatte sich das für den Fall überlegt, daß er wirklich noch einmal den Ungeheuern begegnen sollte, jenen fürchterlichen Frauen, die ihn überfallen hatten. Er würde ganz offen, mit ausgestreckten Händen, auf sie zugehen und ihnen sagen, daß er Angst um sein Leben habe. Und dann würde er sie bitten, ihm zu helfen. Ob sie sich dann genauso verhalten würden? Die Unschuld, die wirklich nackte Unschuld bedarf keines Schutzes, die beschützt sich selbst, dachte Petronius philosophisch, denn das hatte er irgendwo gelesen. Aber war ihm damals im Wald nicht gerade das ganze Gegenteil passiert? Damals, als die drei Frauen... Petronius versuchte, sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Nein, die hatten nicht so ausgesehen. Sie hatten nicht wie jene unheimlichen Frauenungeheuer ausgesehen, die doppelt so groß wie gewöhnliche Wibschen waren und verzerrte Gesichter hatten. Sie sahen doch wie ganz gewöhnliche Frauen aus.
    Petronius lief ein Schauer über den Rücken. Er spürte die Angst in seinem ganzen Körper. Tagsüber dachte er fast nie an die drei Frauen, doch nachts tauchten sie auf, immer und immer wieder. Er träumte, daß sie in sein Zimmer eindrangen und er den Mund nicht aufbekam. Immer mußte er machen, was sie von ihm verlangten. „Wenn du quatschst, kommen wir noch öfter“, drohten sie ihm, bis er schweißgebadet erwachte. Dieser Traum wiederholte sich ständig mit kleinen Variationen. Petronius beugte sich zum Wasser, schöpfte ein wenig mit den Händen und schüttete es sich ins Gesicht. Das erfrischte ihn und verscheuchte die Dunkelheit etwas aus seinem Kopf. Er tat so, als sei er eine rechtschaffene Frau, die gerade von der See hereingekommen war, ihr Boot vertäut hatte und jetzt ihren Fisch braten und einen starken Kaffee trinken wollte. Er stand auf und ging langsam auf die Bucht zu.
    Die Frau entdeckte ihn erst, als er in der Mitte der Bucht stand. Plötzlich war ihr Gesicht ihm zugewandt. Wie ein Schlag fuhr es ihm durch den ganzen Körper, als er sah, wer die Frau war. Verwirrt wollte er weglaufen. Oder sollte er so tun, als stehe er gar nicht dort? Ihn beschlich das Gefühl, sich ihr aufgedrängt zu haben. Er versuchte, den Anschein zu erwecken, als stehe er dort, weil er rein

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