Die Toechter Egalias
stark, daß nicht viel daran gefehlt hätte und du hättest sofort, nachdem du draußen warst, deinen Tanten bei den Netzen geholfen“, wieherte sie aufgeräumt und zündete sich ihren Knösel an.
Einen so stürmischen Tag wie damals habe es nicht mehr gegeben, seit Maria die Gebliebene zum Bleiben entschlossen gewesen sei, prahlte die Großmutter stets. Maria Maibucht Süd, die ihr ganzes Leben an der Südseite der Bucht verbracht hatte, war die Schwester von Alt-Mai, der Ururgroßmutter von Gro, und Großmutter nannte sie nie anders als ,Maria die Gebliebene’. Manchmal fügte sie hinzu: „Und Baraldus war ganz untröstlich“, wenn sie von ihr redete. So stürmisch sei es seitdem nicht mehr gewesen. Gro war Großmutters Augenstern.
Vor langer Zeit hatten die Leute aufgehört, Alt-Mais Tochter anders als ,die Sture von der Bucht’ zu nennen. Sie war dickköpfig wie die dreizehn Weltmeere, und den Fisch verschlang sie stets mit Haut und Gräten, egal, wie groß er war. „Alles andere ist neumodischer Kram“, verkündete sie, während die Knorpel zwischen ihren Zähnen schnurpsten. Aber nicht deshalb hatte sie ihren Spitznamen bekommen. Eigentlich waren es die Reichen aus Egalsund gewesen, die ihr diesen Beinamen gegeben hatten, um sie zu verhöhnen, als sie sich nicht gewillt zeigte zu verkaufen. Doch der Spitzname bezeichnete in so treffender Weise ihre ganze Haltung und ihren Lebensstil, daß sie ihn schnell selbst übernahm und als eine Art Ehrentitel betrachtete. Die meisten Fischerinnen hatten sich dem Druck gebeugt, lange noch bevor Gro zur Welt gekommen war. Die Sture von der Bucht hatte sich mit Zähnen und Klauen dagegen gewehrt, und die hatte sie. Und was für welche! Sie war von Hütte zu Hütte gegangen und hatte bei den Fischerinnen agitiert. „Gebt nie die Klippen und den Eichenwald her“, hatte sie gewarnt. „Das ist das einzige, was ihr habt.“ Aber es nützte nichts. Die Reichen und die Handelsgesellschaften hatten schwindelerregende Summen für ihre Klippen und Eichenbäume geboten. Den Fischerinnen erschienen sie jedenfalls schwindelerregend, denn nie zuvor hatten sie von soviel Geld auf einmal reden hören. Sie wußten mit modernen Zahlungsmitteln so wenig Bescheid, daß sie glaubten, mit 3000 Matraken für den Rest ihres Lebens ausgesorgt zu haben, ohne auch nur noch einen Finger krümmen zu müssen. Auch dagegen kämpfte die Sture von der Bucht. Sie erzählte ihnen Gruselgeschichten vom Stadtleben und wie das Geld zwischen den Fingern zerrinne — ja, zerrinne — , sobald sie bei einer Kauffrau den Fuß über die Schwelle setzten.
Es hatte nichts geholfen. Die Fischerinnen verkauften, suchten sich Arbeit in der Stadt oder zogen nach Pax, manchmal sogar noch weiter weg. Einige verschwanden auch, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Die Sture von der Bucht blieb. Sie hielt ein paar Jahre stand, nachdem die anderen fort waren. Nie redete sie mit anderen, nur mit ihrer Familie, und zu der sagte sie: „Nie verkaufe ich die Erde meiner Mütter!“ Gro erinnerte sich gut an diese Worte. Gro erinnerte sich an diese Worte, weil sie wußte, was sie bedeuteten. Sie erinnerte sich auch an die Stimme der Großmutter und den Ton, in dem sie diese Worte gesagt hatte. Die Großmutter streifte wie ein Elch durch ihren Laubwald, erntete und säte. Wenn sie abgearbeitet, aber voller Lebensfreude nach Hause kam, redete sie verächtlich über das, was jetzt auf Luksus vor sich ging — jetzt, nachdem die Geldsäcke alles aufgekauft hatten. „Das feine Volk zieht hierher“, spöttelte Großmutter. „Jetzt werden wohl auf Luksus keine normalen Leute mehr wohnen, nur noch Nachtschwärmer. Die werden hier nicht arbeiten, die werden hier nur wohnen.“ Großmutter schlug sich auf die Schenkel. Ihren Humor hatte sie nie verloren. „Hast du so etwas schon gehört?! An einem Ort nur wohnen — und dort nicht arbeiten! Weshalb um alles in der Welt sollte dam dann dort wohnen?“
Ja, für Großmutter Maitochter war die moderne Zeit völlig verdreht. Aber ganz ohne Gespür für deren bürokratische Verirrungen war sie nicht. Zur Verblüffung der Speerbeißerfangtrupps, die vor der Insel immer zahlreicher wurden, legte sie plötzlich ein Dokument vor, das ihr das alleinige Recht auf Fischfang um ganz Spruten zuerkannte. Von alters her gab es zwischen den Fischerinnen mündliche Absprachen über ihre Fanggebiete. Doch Alt-Mai, die Mutter der Sturen von der Bucht, hatte als einzige dafür gesorgt, daß ihr Gebiet
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