Die Toechter Egalias
für immer bei ihr sein. Hier war die Frau, von der er die ganze Zeit geträumt hatte: stolz, selbständig, eins mit der Natur, reich...
„Meine Mutter hat das ganze Vermögen durchgebracht“, erzählte Gro weiter, „sie nahm mich mit nach Pax und lebte dort in Saus und Braus als Künstlerin. Es waren immer alle möglichen Männer um sie herum, und sie erklärte mir, daß eine kreative Künstlerin gezwungen sei, sich mit schönen jungen Männern zu umgeben. Sie seien sozusagen eine Quelle der Inspiration. Aber sie wollte keinem das Vaterschaftspatronat geben. Um mich hat sie sich größtenteils eine Luzia geschert. Dafür haben mich ihre Männer immer verhätschelt und sich bei mir einzuschmeicheln versucht. Kit sollte doch glauben, ich würde ein schlagendes Männerherz vermissen. Aber gleich als ich sechzehn war, bin ich abgehauen: Ich ging zur See und blieb viele Jahre draußen. Ich führte ein typisches Seefrauenleben und hatte in jedem Hafen einen Knaben. Nein, nein, Petronius, ich kann dir nicht alles erzählen. Ich habe getrunken und bin im Prostihaus gewesen... und so weiter. Stell dir vor, in einigen fremden Häfen bieten sich Männer schon mit elf Jahren an! Dann bekam ich plötzlich ein Telegramm, in dem stand, daß meine Mutter gestorben war. Ich glaube, sie hat sich zu Tode gesoffen. Aber dennoch war ich erschüttert. Ich dachte an meine Kindheit zurück, an die Maibucht und an die Worte, die mir die Sture von der Bucht damals gesagt hatte. So kam ich zurück. Zuerst dachte ich, ich würde zur Beerdigung zurück sein. Aber das war ja wohl ein Witz. Die war nämlich viel früher.“
„Eine Mutter...“ fuhr Gro versonnen fort, „was ist wohl eine Mutter? Ein fernes Wesen, dem du nie richtig nahe kommst... Selbst wenn sie das Vermögen verjubelt hat, kann ich nicht umhin, mit Stolz an sie zu denken, denn schließlich hat sie mich da draußen bei Spruten an einem beißend kalten Frühjahrsmorgen in einem offenen Boot bei Windstärke acht geboren... Sie gehörte zum Volk, Petronius. Sie war Teil des wirklichen, gebärenden Volkes...“
Im Inneren des Gebärpalastes
Der Gebärpalast lag mitten auf dem großen Höhenzug oberhalb der Mülldeponie Süd, am Rande des Egalsundes, dort, wo der Entbindungsboulevard in südöstlicher Richtung nach Pax verlief. Erst vor zehn Jahren war er dort errichtet worden; zuvor stand er auf dem Plattenberg, mitten in der Stadt. Die Gebärenden klagten jedoch über zu großen Lärm während des Niederkunftzeremoniells. Das Faszinierende am großen Wunder des Lebens würde, so meinten sie, im alltäglichen Lärm nicht zur Geltung kommen. Bereits nach den ersten Klagen beschloß die Direktorinnengesellschaft, ein zeitgemäßes Gebäude in ruhigerer Umgebung außerhalb der Stadt zu bauen. Es war der größte Sonderposten, den die Stadt bis dahin aus ihrem Haushaltsetat bewilligt hatte. Das Geld wurde unverzüglich bewilligt — nachdem eine der Direktorinnen dort gewesen war und geboren hatte.
Der neue Gebärpalast bildete ein riesiges, rotes Steindreieck mit einem runden Glockenturm an jeder Spitze, hohen gewölbten Fenstern und einer langen Marmortreppe, die zum Eingangsportal hinaufführte. Der Palast war in unterschiedlich große, ebenfalls dreieckige Kreißsäle aufgeteilt, die von den Männern der Gebärenden — je nachdem, was dam zu zahlen bereit war — gemietet werden konnten.
„Hoffentlich wird es ein Mädchen“, sagte Ba, als das große schwarze Elektro-Auto mit den Familienmitgliedern von Direktorin Bram an der Spitze des Zuges der Geburtsgäste losfuhr. Es war Spätherbst, das Wetter war ungemütlich und der Himmel grau.
„Dann ziehe ich aus“, erwiderte Petronius.
„Dann hoffe ich noch mehr, daß es ein Mädchen wird“, trumpfte Ba auf.
„Hört endlich auf! Sonst ziehe ich von zu Hause weg“, sagte Kristoffer. Petronius und Ba sahen ihn erschreckt an.
„Du?“ sagte Ba. „Du kannst doch gar nicht von zu Hause wegziehen.“ Im letzten Monat hatte Kristoffer alle Hände voll zu tun gehabt. Die ganze Zeremonie mußte bis ins kleinste vorbereitet werden, und als er Rut einmal um Rat fragte, hatte sie ihm nur geantwortet, um solche Sachen hätten sich doch die Männer zu kümmern und außerdem habe sie doch wirklich genug mit der Schwangerschaft zu tun. Ob er denn verlange, daß sie sich auch noch mit den praktischen Kleinigkeiten belasten solle?
Weil ihre Schwangerschaft diesmal äußerst beschwerlich verlaufen war, hatte sie unaufhörlich nach
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