Die tödliche Bedrohung
Zeit nur rumgenervt hat. Von wegen, dass ich mir Arbeit suchen soll und lauter so Zeugs. Kaum war das Kind da, hat sich alles verändert. So eine Schlampe brauche ich nicht in meinem Leben. Aber der Einzige, der sagt, wann es aus ist, bin ich.“
Unten auf der Straße ertönte Sirenengeheul. Althea spürte eine Bewegung hinter sich, drehte sich jedoch nicht um. Wagte es nicht. Sie wollte, dass sich der Mann allein auf sie konzentrierte. „Wenn Sie das Kind reinbringen, kommen Sie ja vielleicht ungeschoren davon. Und Sie wollen doch ungeschoren davonkommen, Charlie, oder nicht? Kommen Sie. Geben Sie mir die Kleine.“
„Sie halten mich wohl für bescheuert, was?“ Seine Lippen verzerrten sich zu einem höhnischen Grinsen. „Sie sind genauso eine Schlampe.“
„Ich halte Sie überhaupt nicht für bescheuert.“ Aus dem Augenwinkel erhaschte sie eine Bewegung. Es war nicht Harrison. Es war Colt, der wie ein Schatten unbemerkt in einen toten Winkel neben dem Mann glitt. „Ich glaube nicht, dass Sie töricht genug sind, um dem Kind etwas anzutun.“ Sie war jetzt näher dran, etwa fünf Fuß entfernt. Aber es hätten genauso gut fünfzig sein können.
„Ich bring sie um!“, schrie er. „Und Sie bring ich auch um und jeden anderen, der sich mir in den Weg stellt, auch! Der Einzige, der sagt, dass es aus ist, bin ich!“
Und dann geschah es, eine blitzschnelle Bewegung wie ein Schatten am Rand eines Traums. Mit einem einzigen Satz war Colt bei dem Mann und schlang seinen Arm um das Kind. Althea sah das Aufblitzen von Metall in seiner Hand und erkannte es als eine 32er. Er hätte die Waffe vielleicht sogar benutzt, wenn es nicht wichtiger gewesen wäre, das Kind zu retten. Die Kleine mit seinem Körper schützend, wirbelte er herum, und dann hatte er sie dem Mann auch schon entrissen.
Althea sah, wie die Mündung des 45ers umschwenkte und sich auf Colt und die Kleine richtete. Jetzt blieb ihr keine andere Möglichkeit mehr als zu schießen. Der Mann taumelte und brach am Rand des Daches in die Knie. Und dann stürzte er und nicht seine Tochter wie ein Stein in die Tiefe.
Althea gestattete sich nicht einmal ein erleichtertes Aufseufzen. Sie schob ihre Waffe ins Holster und ging zu Colt, der das weinende Kind zu beruhigen versuchte. „Ist sie okay?“
„Sieht so aus.“ Mit einer Bewegung, die so natürlich wirkte, als ob er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan hätte, setzte er sich das Kind auf die Hüfte und wischte ihm die Tränen ab. „So, jetzt bist du in Sicherheit, Kleine. Jetzt wird dir keiner mehr etwas tun.“
„Mama.“ Immer noch leise in sich hineinschluchzend, barg die Kleine ihr Gesicht an Colts Brust. „Mama.“
„Keine Sorge, du kommst gleich zu deiner Mama.“ Colt hatte immer noch seine Pistole in der Hand, aber mit der anderen fuhr er dem Mädchen über das weiche blonde Haar. „Gute Arbeit, Lieutenant.“
Althea schaute über die Schulter. Im Treppenhaus hörte man bereits die polternden Schritte von Polizisten. „Ich habe schon bessere geleistet.“
„Sie haben ihn dazu gebracht, dass er nicht aufhört zu reden, damit das Kind noch eine Chance hat, und dann haben Sie ihn überwältigt. Dabei sollten wir es besser belassen.“ Von dem Moment an, in dem sie mit dem Blut eines Kollegen an den Händen die Treppe nach oben gelaufen war, war in ihren Augen ein Ausdruck aufgeblitzt, der bis jetzt noch nicht erloschen war. Ein Ausdruck, den Colt kannte. Es war der Blick eines Kriegers.
Ihr Blick hielt seinen noch für einen Moment fest, dann sagte sie nur: „Okay. Gehen wir.“
„Schön.“ Sie gingen zusammen zur Tür.
„Ach, übrigens, Nightshade.“
Er lächelte leicht, überzeugt davon, dass jetzt für sie der Moment gekommen war, ihm zu danken. „Was denn?“
„Haben Sie für diese Kanone eigentlich eine Lizenz?“
Er blieb abrupt stehen, starrte sie an. Dann verzog sich sein Mund zu einem tiefen volltönenden Lachen. Die Kleine hörte es und hob den Kopf, schniefte und lächelte, immer noch mit Tränen in den Augen.
Sie dachte nicht darüber nach, dass sie einen Menschen getötet hatte. Sie gestattete es sich nicht. Sie hatte bereits vorher getötet, und sie würde es wahrscheinlich wieder tun müssen. Aber darüber nachdenken wollte sie nicht. Sie wusste, dass sie Gefahr lief, innerlich abzusterben, wenn sie über diesen traurigen Aspekt ihres Berufs zu viel nachdachte. Oder schlimmer noch – unendlich viel schlimmer –, dass sie irgendwann anfangen
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