Die Tore der Welt
einer Antwort zur Hand. »Das ist ein Heilkraut namens … Vettelwurz«, sagte
er. Gwenda vermutete, dass er improvisierte, aber sicher sein konnte sie sich
nicht. »Es hilft gegen die Kurzatmigkeit meiner Mutter.«
Nate sah Gwenda an.
»Ich wusste nicht, dass sie kurzatmig ist.« »Im Winter«, sagte Gwenda.
»Ein Kraut?«,
fragte Nate skeptisch. »Was hier wächst, das heilt ganz Kingsbridge. Und du
hast es gejätet, um mehr zu bekommen.« »Ich bin gern gründlich«, erwiderte
Davey.
Es war eine
dürftige Antwort, und Nate ging nicht darauf ein. »Unerlaubter Anbau«, sagte
er. »Erstens brauchen Hörige eine Erlaubnis für das, was sie pflanzen — sie
können nicht einfach aussäen, was sie wollen. Dann gäbe es ein furchtbares Durcheinander.
Zweitens dürfen sie nicht den Wald ihres Grundherrn bestellen, auch nicht mit
Kräutern.«
Darauf wusste
keiner von ihnen etwas zu entgegnen. So lauteten die Regeln. Es war zum
Verrückt werden! Oft wussten Bauern, dass sie viel Geld verdienen könnten,
indem sie unübliche Pflanzen anbauten, die nachgefragt wurden und hohe Preise
erzielten: Hanf, um daraus Seile zu machen, Flachs für teures Unterzeug oder Kirschen
als Leckerei für reiche Damen. Doch viele Grundherren und ihre Vögte
verweigerten die Erlaubnis dazu allein schon aus dem Grund, weil sie kein
Wagnis eingehen wollten.
Nate sah sie giftig
an. »Der eine Sohn ein Landflüchter und Mörder«, sagte er. »Der andere trotzt
seinem Herrn. Was für eine Familie!«
Er hatte ein Recht
auf seine Wut, fand Gwenda. Sam hatte Jonno getötet und war ungeschoren
davongekommen. Ohne Zweifel würde Nate ihre Familie bis zum Tag seines Todes
hassen.
Der Vogt beugte
sich nieder und zerrte grob eine Pflanze aus dem Boden. »Damit gehe ich vor den
Lehnshof«, sagte er zufrieden; dann wandte er sich um und hinkte zwischen den
Bäumen davon.
Gwenda und ihre
Familie folgten ihm. Davey war unerschüttert. »Nate wird eine Strafe verhängen,
und ich werde sie zahlen«, sagte er. »Ich verdiene trotzdem dabei.«
»Und was, wenn er
befiehlt, die Ernte zu zerstören?«, fragte Gwenda.
»Wie denn?«
»Er könnte sie
niederbrennen oder zertrampeln lassen.« Wulfric warf ein: »Das würde Nate
niemals tun. Das Dorf würde es niemals mitmachen. Für so etwas wurde schon
immer eine Geldstrafe verhängt.« Gwenda sagte: »Ich frage mich nur, was Graf
Ralph dazu sagen wird.« Davey machte eine wegwerfende Handbewegung. »Warum
sollte der Graf von dieser Kleinigkeit erfahren?« »Ralph hat unsere Familie
besonders im Auge.« »Ja, das stimmt«, sagte Davey nachdenklich. »Ich begreife
einfach nicht, wieso er Sam begnadigt hat.« Der Junge war nicht dumm. Gwenda
sagte: »Vielleicht hat Lady Philippa ihn überredet.« »Sie erinnert sich an
dich, Mutter«, warf Sam ein. »Das hat sie mir gesagt, als ich in Merthins Haus
war.« »Aus irgendeinem Grund muss ich bei ihr einen Stein im Brett haben«,
sagte Gwenda aus dem Stegreif. »Oder vielleicht hat sie nur Mitleid mit mir
gehabt. Sie ist auch eine Mutter.« Eine sonderlich gute Erklärung war es nicht,
doch Gwenda fiel nichts weniger Dürftiges ein.
Seit Sams
Freilassung hatten sie mehrmals darüber gesprochen, was Ralph bewegt haben
konnte, ihn zu begnadigen. Gwenda gab jedes Mal vor, genauso verwundert zu sein
wie alle anderen auch. Zum Glück war Wulfric noch nie ein misstrauischer Mensch
gewesen.
Sie erreichten das
Haus. Wulfric blickte in den Himmel und sagte, es sei noch eine gute Stunde
Licht. Er kehrte in den Garten zurück, um weiter Erbsen zu säen. Sam ging ihm
zur Hand. Gwenda setzte sich und nähte einen Riss in Wulfrics Beinlingen. Davey
nahm vor ihr Platz und begann: »Ich muss dir noch ein anderes Geheimnis erzählen.«
Gwenda lächelte. Es störte sie nicht, wenn
er Heimlichkeiten hatte, solange er sie seiner Mutter mitteilte. »Nur zu.« »Ich
habe mich verliebt.«
»Das ist ja
wunderbar!« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Ich freue mich
sehr für dich. Wie ist sie denn?« »Sie ist schön.«
Ehe Gwenda von dem
Krapp erfuhr, hatte sie überlegt, ob Davey sich mit einem Mädchen aus einem
anderen Dorf traf. Ihre Ahnung hatte sie nicht getrogen. »Ich habe es mir schon
gedacht«, sagte sie.
»Wirklich?« Er
wirkte unbehaglich.
»Keine Sorge, es ist
ja nichts Falsches daran. Mir ist nur so durch den Kopf gegangen, du könntest
dich mit jemandem treffen.«
»Wir gehen immer zu
der
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