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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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eine
rechtswidrige Pflanzung handelte. Bauern konnten es nicht mit ansehen, wenn
Ertrag vernichtet wurde. In Frankreich hatte Ralph gelernt, dass es kein
besseres Mittel gab, um die Landbevölkerung zu demoralisieren, als ihr die
Ernte auf den Feldern zu verbrennen.
    »Das genügt«, sagte
er. Ihm war rasch langweilig geworden. Ihn ärgerte zwar Daveys Unverschämtheit,
die Pflanze anzubauen, aber das war nicht der eigentliche Grund, weshalb er
nach Wigleigh geritten war. In Wirklichkeit wollte er Sam Wiedersehen.
    Während sie zurück
zum Dorf ritten, suchte Ralph mit Blicken die Felder nach einem hochgewachsenen
jungen Mann mit dichtem schwarzem Haar ab. Sam musste schon allein durch seine
Größe aus diesen verkümmerten Bauern hervorstechen, die sich über ihren Spaten
kauerten. Er entdeckte ihn aus der Entfernung auf Brook Field. Er zügelte sein
Pferd und musterte über die windige Landschaft seinen zweiundzwanzigjährigen
Sohn, den er nie gekannt hatte.
    Sam und Wulfric — der Mann, den er für seinen Vater hielt — pflügten mit einem leichten, von einem
Pferd gezogenen Pflug. Etwas stimmte nicht, denn sie hielten inne und rückten
das Geschirr zurecht. Wenn sie nebeneinander standen, fielen die Unterschiede
zwischen ihnen sofort ins Auge. Wulfric hatte lohfarbenes Haar, Sams Haar war
dunkel; Wulfric hatte eine gewölbte Brust wie ein Ochse, während Sam
breitschultrig und schlank war wie ein Pferd; Wulfric bewegte sich bedächtig
und gezielt, Sam rasch und anmutig.
    Es war höchst seltsam, einen Fremden
anzublicken und zu denken: Das ist mein Sohn. Ralph hatte immer geglaubt, er
sei gegen weibische Anwandlungen gefeit. Wäre er je Gefühlen wie Mitleid oder
Bedauern unterworfen gewesen, hätte er ein anderes Leben führen müssen. Die
Entdeckung Sams jedoch drohte ihn zu entmannen.
    Er riss sich von
dem Anblick los und ritt im Handgalopp zum Dorf zurück; dort aber gab er erneut
der Wissbegierde und dem Gefühl nach und schickte Nate aus, um Sam zu suchen
und ins Lehnshaus zu bringen.
    Er war sich nicht
sicher, was er mit dem Jungen anfangen wollte: mit ihm reden, ihn
zurechtstutzen, ihn zum Abendessen einladen oder was sonst. Er hätte vorhersehen
können, dass Gwenda ihm keine freie Wahl lassen würde. Sie kam mit Nate und Sam
herein, und Wulfric und Davey folgten ihnen. »Was wollt Ihr von meinem Sohn?«,
fuhr sie Ralph in einem Ton an, als sei er ihresgleichen und nicht ihr
Lehnsherr.
    Ralph antwortete,
ohne nachzudenken. »Sam wurde nicht geboren, um als Höriger das Feld zu
bestellen«, sagte er und bemerkte, dass Alan Fernhill ihn überrascht anblickte.
    Auch Gwenda sah ihn
verblüfft an. »Gott allein weiß, wofür wir geboren sind«, erwiderte sie, um
Zeit zu gewinnen.
    »Wenn ich mir von
Gott erzählen lassen will, frage ich einen Priester, aber nicht dich«,
entgegnete Ralph ihr. »Dein Sohn hat das Zeug zu einem Kämpfer. Um das zu
sehen, brauche ich nicht zu beten — für mich ist es so offensichtlich wie für
jeden Kriegsveteran.«
    »Aber er ist kein
Kämpfer, er ist ein Bauer und der Sohn eines Bauern, und es ist ihm bestimmt,
wie sein Vater das Feld zu bestellen und Vieh aufzuziehen.«
    »Sein Vater ist
unwichtig.« Ralph erinnerte sich, was Gwenda zu ihm in der Burg des Sheriffs zu
Shiring gesagt hatte, als sie ihn überredete, Sam zu begnadigen. »Sam hat den
Drang zum Töten«, sagte er. »Bei einem Bauern ist das gefährlich, bei einem
Soldaten unbezahlbar.«
    Gwenda sah ihn
verängstigt an; ihr wurde allmählich klar, was Ralph im Sinn hatte. »Worauf wollt
Ihr hinaus?«, fragte sie.
    Ralph wurde der
Gedankenkette gewahr, die ihn lenkte. »Sam soll lieber nützlich sein als
gefährlich. Er soll das Kriegerhandwerk erlernen.«
    »Lächerlich. Er ist
zu alt.«
    »Er ist zweiundzwanzig. Das ist spät, aber
er ist gesund und stark. Er kann es schaffen.«
    »Ich wüsste nicht, wie.«
    Gwenda gab vor,
praktische Hindernisse zu finden, doch Ralph durchschaute ihre Anstrengungen
und wusste, dass sie die Vorstellung von ganzem Herzen verabscheute. Es machte
ihn nur umso entschlossener. Mit einem triumphalen Lächeln sagte er: »Das ist
das Einfachste. Er kann ein Knappe werden. Er wird nach Earlscastle kommen und
dort leben.«
    Gwenda sah ihn an,
als hätte er ihr ein Messer ins Herz gestoßen.
    Einen Moment lang
schloss sie die Augen, und ihr olivfarbenes Gesicht erblasste. Ihre Lippen
bildeten das Wort nein, aber kein Laut drang

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