Die Tore der Welt
Steigbügel gefangen; offenbar hatte ihn dies davon bewahrt,
unterzugehen. Er hatte den Hut verloren, und sein Kopf war nur noch eine
blutige Masse. Ralph wusste nicht, wie ein Mann solch eine Verletzung überleben
sollte.
Dennoch würde er
ihn retten. Auch wenn er nur den Leichnam des Grafen barg, würde es eine
Belohnung geben.
Ralph versuchte,
Rolands Fuß aus dem Steigbügel zu ziehen, doch der Riemen war fest um den
Knöchel geschlungen. Ralph tastete nach seinem Messer; dann fiel ihm ein, dass
es noch an seinem Gürtel hing, den er mit dem Rest seiner Kleidung am Ufer zurückgelassen
hatte. Aber der Graf hatte Waffen. Ralph tastete nach Rolands Dolch, bekam den
Griff zu fassen und zog die Waffe aus der Scheide.
Victorys
krampfhafte Bewegungen machten es Ralph schwer, den Riemen zu durchschneiden.
Jedes Mal, wenn er den Steigbügel zu fassen bekam, riss das kämpfende Pferd ihm
das Leder wieder aus der Hand, ehe er den Dolch ansetzen konnte. Ralph fluchte,
als er sich in die Hand schnitt. Schließlich stützte er sich mit beiden Füßen
an der Flanke des Pferdes ab; in dieser Haltung gelang es ihm endlich, den
Riemen zu durchtrennen.
Nun musste er den
bewusstlosen Grafen ans Ufer bringen.
Ralph war kein
guter Schwimmer, und er keuchte jetzt schon vor Anstrengung. Um alles noch
schlimmer zu machen, konnte er durch die gebrochene Nase nicht richtig atmen,
und sein Mund füllte sich immer wieder mit Flusswasser. Kurz lehnte Ralph sich
auf den zum Ertrinken verurteilten Victory, um wieder zu Atem zu kommen; doch
der nun haltlose Leib des Grafen begann augenblicklich zu versinken. Ralph
erkannte, dass er sich nicht ausruhen durfte.
Mit der rechten
Hand packte er Rolands Knöchel und machte sich auf den Weg ans Ufer. Da er nur
eine Hand zum Schwimmen frei hatte, kostete es ihn alle Kraft, den Kopf über
Wasser zu halten.
Er schaute nicht zu
Roland zurück. Falls der Oberkörper des Grafen unter Wasser war, gab es nichts,
was er dagegen tun konnte.
Schon nach ein paar
Sekunden schnappte Ralph nach Luft, und seine Glieder schmerzten.
Ralph war jung und
stark, und den größten Teil seines bisherigen Lebens hatte er mit der Jagd, dem
Turnierkampfund Fechtübungen verbracht. Ralph konnte den ganzen Tag lang reiten
und abends noch einen Ringkampf austragen; nun aber musste er Muskeln einsetzen,
die er nur wenig benutzte und die deshalb nicht ausgebildet waren. Sein Nacken
schmerzte von der Anstrengung, den Kopf oben zu behalten, und so konnte er
nicht vermeiden, dass er Wasser schluckte, was ihn husten und würgen ließ.
Verzweifelt schlug er mit dem linken Arm aufs Wasser, um nicht zu versinken,
und tatsächlich gelang es ihm, an der Oberfläche zu bleiben und den massigen
Leib des Grafen hinter sich herzuziehen, der durch die mit Wasser vollgesogene
Kleidung noch schwerer geworden war. Quälend langsam näherte Ralph sich dem
Ufer.
Schließlich war er nahe genug, dass er die
Beine ausstrecken und mit den Füßen das Flussbett erreichen konnte. Ralph
schnappte nach Luft und watete an Land; den Grafen zog er noch immer hinter
sich her. Als das Wasser nur noch hüfttief war, drehte er sich um, nahm Roland
in die Arme und trug ihn die letzten paar Schritte.
Ralph legte den
Körper des Grafen auf den Boden und brach erschöpft daneben zusammen. Mit
letzter Kraft tastete er die Brust seines Herrn ab. Er spürte einen kräftigen
Herzschlag.
Graf Roland lebte.
Als die Brücke
einstürzte, war Gwenda vor Angst wie gelähmt. Dann, einen Augenblick später,
weckte der Schock des kalten Wassers sie wieder.
Als ihr Kopf die
Wasseroberfläche durchbrach, fand sie sich inmitten kämpfender, schreiender
Menschen wieder. Einige bekamen ein Stück Holz zu fassen, an dem sie sich
festklammern und über Wasser halten konnten; andere versuchten das Gleiche,
indem sie sich auf ihre Mitmenschen stützten, wobei diese unter Wasser gedrückt
wurden und wild mit den Fäusten schlugen, um sich zu befreien. Viele der
Schläge verfehlten ihr Ziel, doch wenn sie trafen, wurden sie erwidert. Es war
wie vor einer Taverne um Mitternacht.
Wären hier nicht
Menschen gestorben, es wäre sogar komisch gewesen.
Gwenda schnappte
gierig nach Luft und warf den Kopf in den Nacken. Sie konnte nicht schwimmen
und ruderte mit den Armen, um nicht zu versinken. Zu ihrem Entsetzen war Sim
Chapman unmittelbar vor ihr und spie Wasser. Dann ging er langsam unter: Offensichtlich
konnte er
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