Die Tore des Himmels
würde; es war ohnehin ein Wunder, dass er sie auf seinen ständigen Kontrollgängen noch nicht bemerkt hatte. Dann würde es Elisabeth schlecht ergehen. Er schlug sie ohnehin bei jedem noch so kleinen Anlass, um sie zu besserem Gehorsam zu erziehen, wie er sagte.
Am Freitag vor Cantate war es dann so weit. Wir sahen ihn mit hochrotem Kopf um die Ecke des Holzschuppens biegen und auf Elisabeth zustürmen. Er packte sie und zerrte sie grob zu seiner Unterkunft, dem kleinen Häuschen, in dem sonst der Hospitalschaffer arbeitete. Wir drei Dienerinnen eilten hinterdrein, um das Schlimmste zu verhindern, und drängten uns mit ins Innere der Hütte, gefolgt von Konrads Gehilfen Johannes.
»Hinaus!«, herrschte der Prediger uns an, während Elisabeth dastand wie eine arme Sünderin.
Guda und Isentrud senkten die Köpfe. Auch sie hatten Konrad Gehorsam geschworen. Also verließen sie widerstrebend den Raum. Nun war nur noch ich übrig.
»Lass uns allein!«, knurrte Konrad.
»Ich bleibe«, widersetzte ich mich. »Ihr könnt mir nichts befehlen, Magister Konrad. Ich bin ein freier Christenmensch und kann tun und lassen, was ich will.«
Elisabeth hatte sich schon hinter ihm zu Boden geworfen. »Straft mich, Meister«, jammerte sie, »ich weiß, ich war ungehorsam.«
Das lenkte ihn von mir ab. Er fuhr herum, wie ein schwarzer Racheengel stand er vor seiner Schutzbefohlenen. »Was maßt du dir an?«, brüllte er. »Du gehorchst nicht meinen Befehlen! Aufsässig bist du und bringst alle in Gefahr mit deiner unsäglichen Unvernunft!«
»Verzeiht mir«, bat sie und versuchte den Saum seines Gewandes zu ergreifen, doch er riss seine Kutte aus ihrer Hand.
»Wer bist du, dir das zu erlauben? Gott und der Papst haben dich unter meine Obhut gestellt! Wie oft willst du mir noch zuwiderhandeln in deiner grenzenlosen Sturheit?«
»Sie war so arm«, wimmerte Elisabeth. »Ich konnte nicht …«
»Schweig!«, donnerte Konrad. »Du hirnloses Stück Dreck! Du bockiges, gottvergessenes Weib! Du hast es immer noch nicht gelernt! Demut heißt, sich selber aufgeben, die eigenen Wünsche und Begehrnisse zu verneinen! Aber du tust nur, was du willst! Ja, wirf dich nur in den Staub, es wird dir nichts helfen! Gott hasst dich! Und da willst du heilig werden?« Er lachte schrill und böse.
Elisabeth schluchzte auf. »Straft mich, Meister! Macht mich zu einem besseren Menschen, ich bitte Euch! Lasst mich spüren, dass ich die niedrigste Magd des Herrn bin.«
»Was bist du?«
»Ein hirnloses Stück Dreck, Meister!«
»Was bist du noch?«
»Ein bockiges, gottvergessenes Weib!«
»Du verstehst nichts, gar nichts! Diese Frau ist mit dem Aussatz gesegnet! Gott hat sie ausgezeichnet vor allen Menschen! Er hat ihr diese Heimsuchung geschickt, auf dass sie schon im Leben die Leiden erfährt, die andere erst im Fegefeuer erdulden müssen. Sie fährt dereinst in den Himmel auf, während Elende wie du noch Tausende von Jahren brennen werden! Und du willst heilig werden?«
Elisabeth kroch auf Händen und Knien in die Ecke des Raumes, wo Konrads Wanderstab stand. Schluchzend griff sie sich den Knüppel und hielt ihn dem Prediger hin. »Schlagt mich, Herr Konrad! Erspart mir die ewigen Qualen des Fegefeuers, lasst mich jetzt büßen, ich fleh Euch an!«
Da zog er seine eigene blutverkrustete Geißel aus dem Mantel und warf sie ihr hin. »Tu es selbst, Elisabeth. Ich bin es satt!«
Mich hielt es kaum noch in meiner Ecke. Der einäugige Johannes hatte es bemerkt und stellte sich breitbeinig neben mich. Ich roch seinen Schweiß.
Elisabeth kniete im Zustand höchster Verzweiflung da. Sie war nicht mehr bei sich, als sie mit einem Ruck ihr Gewand über der Brust aufriss und bis zu den Hüften abstreifte. Ich sah, was ich bisher noch nie gesehen hatte: Ihr Rücken war voller Narben! Alte, längst verheilte weiße und dunkle Striemen und ganz frische, die noch hellrot aufleuchteten. Es war ein schrecklicher Anblick, ich schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht.
Und dann klatschten die Schnüre der Geißel auf die geschundene Haut. Ich wollte zu Elisabeth, ihr das Marterinstrument aus den Händen reißen, aber Johannes hielt mich fest. Immer und immer wieder ließ Elisabeth die Geißel fliegen. Winzige Blutströpfchen sprühten, benetzten die Wände, den Tisch und Konrad, der mit verschränkten Armen dastand und ungerührt zusah. Nach endloser Zeit, so schien es mir, erlahmten ihre Kräfte, sie brachte keinen Schlag mehr zustande.
Konrad nahm ihr
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