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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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die Geißel ab. »So, und nun glaubst du, es sei alles gesühnt?«
    »Ich … ich weiß nicht, Meister«, presste sie unter Schmerzen hervor. Immer noch kniete sie mit nacktem Oberkörper da, ich sah genau, dass Johannes seinen Blick nicht von ihren Brüsten abwenden konnte. Er hielt mich immer noch fest.
    Konrad schien unsere Gegenwart völlig vergessen zu haben. »Gibt es noch etwas, was du beichten willst, Weib? Dann ist jetzt die Zeit.«
    Elisabeth zog sich das zerrissene Gewand vor die Brüste. »Ja, Herr, ich will beichten. Ich will Euch gestehen, dass ich ehrgeizig und selbstsüchtig bin, und hoffärtig. Dass ich den eitlen Wunsch habe, die Stigmata des Herrn zu tragen. Dass ich jeden Tag danach trachte, wieder dem Erlöser zu begegnen, obwohl ich seiner Gegenwart nicht würdig bin. Dass ich versuche, eine Begegnung, wie ich sie zu Eisenach hatte, wieder heraufzubeschwören.«
    »Du versuchst willentlich, eine Vision herbeizuführen?«, fragte Konrad mit gerunzelten Brauen.
    Sie nickte und fuhr stockend fort. »Ja. Ich weiß, dass es falsch ist. Ich muss es dem Herrn überlassen, ob er noch einmal zu mir sprechen will. Aber ich sehne mich doch so danach. Meine Liebe zu ihm ist so unendlich groß. Und dann …« Sie hielt inne.
    »Was ist dann?«
    Elisabeth schloss die Augen. »Und dann, wenn ich so mit aller Hingabe an ihn denke, dann … dann bekomme ich solche Gefühle … Gefühle, die …«
    Konrad schien zu erstarren. »Du meinst, du empfindest fleischliche Lust? Willst du das sagen?«
    Sie nickte, und dabei liefen ihr die Tränen über die Wangen.
    »Du stellst dir vor, der Herr würde dir beiliegen?«, donnerte der Prediger.
    »O Gott, ja«, stöhnte Elisabeth.
    »Du glaubst, Jesus Christus würde seine heilige Männlichkeit mit deiner schmutzigen Kloake vereinigen?«, brüllte Konrad; seine Stimme überschlug sich. »Unersättliches, geiles Weib! Du machst den Erlöser der Christenheit in Gedanken zum Hurenbock! Das ist ungeheuerlich! Das ist widerlich!«
    »Meister, Meister, ich bitte Euch, heilt mich!« Elisabeth schluchzte haltlos und griff verzweifelt nach seiner Hand. »Reiniget mich von diesen Gedanken. Ich bin das schlechteste Wesen auf der ganzen Welt. So helft mir doch! Es kommt sonst wieder!«
    Der Prediger war außer sich. Er schüttelte Elisabeth ab, als sei sie ein ekles Insekt. »Ich werde dir diesen Teufel austreiben«, schrie er. Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze. »Nie mehr sollst du sündige Wünsche haben. Mit Stumpf und Stiel muss dieses Übel ausgerottet werden! Du sollst keusch werden und züchtig, rein wie ein Engel.«
    »Ja, o ja, das will ich!« Elisabeth zitterte am ganzen Körper. »Macht mit mir, was Ihr wollt, Meister! Schlagt mich, lasst mich hungern, lasst mich leiden, ich will jede Strafe freudig annehmen.«
    Da sagte er voller Verachtung: »Du sollst deine Strafe bekommen, Elisabeth. Ich werde dir geben, was du dir so heftig ersehnst.«
    Er sah zu mir herüber, und plötzlich war er mit drei Schritten bei mir, legte seine Finger wie ein Schraubstock um mein Handgelenk und zog mich zur Tür. Unsanft stieß er mich ins Freie. Bevor er mir folgte, sagte er einen Satz zu dem Einäugigen, den ich in meinem Leben nie vergessen werde. Er sagte: »Du kannst sie haben, Johannes!«
    Das Letzte, was ich sah, war, wie Johannes sich die Lippen leckte. Dann fiel die Tür ins Schloss. Ich brachte vor Entsetzen kein Wort heraus.
    Draußen stellte sich Konrad von Marburg vor den Eingang. Ich warf mich gegen ihn, schrie, trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust, aber er stand eisern da, wie der Wächter des Höllentores. Und mit einem Mal schlug er ohne Vorwarnung zu. Er traf mich hart an der Schläfe, ich fiel benommen hin. Und dann gab ich auf, ich blieb einfach liegen. »Ihr seid der Teufel«, keuchte ich. Es störte ihn nicht. Er stand einfach nur da, mit dem Rücken zur Hütte, und sah stumm in die Ferne. Von drinnen kamen gedämpfte Laute. Es schien kein Ende zu nehmen. Es war furchtbar.
    Als Elisabeth herauskam, sah sie aus wie ein Geist. Ich stürzte zu ihr hin, doch sie nahm mich gar nicht wahr. Langsam ging sie auf Konrad von Marburg zu, nahm seine Hände und küsste sie voll Inbrunst. »Danke, Meister«, sagte sie leise. »Jetzt weiß ich, wie groß meine Sünde war.«
     
    Am nächsten Tag befahl er ihr, uns fortzuschicken.

Marburg, Herbst 1229
    D er Samstag Allerheiligen hatte den ersten starken Frost gebracht; die Sonne schien kraftlos aus einem

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