Die Tore zu Anubis Reich
Inferno
Die erforderliche Energie wird kein Problem darstellen, dachte Dr. Romany, als er sich an seinem Arbeitstisch über die Papiere beugte und die Schreie der Zigeuner zu überhören suchte, die nicht entkommen waren, ebenso wie er das brüllende Tosen der mittlerweile durchgängigen Flammenwand zu überhören suchte, die unkontrollierbar um das Lager kreiste; und nach dem Gradwinkel, in dem ich die Glasstäbe legte, kann ich entscheiden, wie weit ich springen werde. Aber wie kann ich zurückkehren? Ich werde einen verlebendigten Talisman brauchen, der mit dieser Zeit verbunden ist, ein Stück grüner Schiefer, beschrieben mit den Koordinaten dieser Zeit wäre ausreichend, sinnend betrachtete er eine Statue des Anubis, die als Briefbeschwerer benutzt wurde und aus diesem Stein gearbeitet war.
Durch das unheilvolle Lärmen draußen hörte er neue Geräusche im benachbarten Zelt und eine brüllende Stimme: »Wo ist Romany, ihr Strauchdiebe? Haltet ihr ihn hier versteckt?«
Es mußte dieser haarige Riese sein, der irgendwie gegen den Kältezauber immun war. Und er war hinter ihm her. Es war keine Zeit, Stein zu schneiden. Er mußte es auf Papier schreiben und sich - wieder einmal - auf etwas von seinem Blut verlassen müssen, um es zu verlebendigen.
Als er eilig Hieroglyphen des Alten Reiches auf ein Blatt weißes Papier malte, ging ihm die Frage, wer der bärtige Mann sein könnte, im Kopf herum. Und wo war Brendan Doyle? Die Schreibfeder verharrte über dem Blatt in der Luft, als ihm eine mögliche Antwort in den Sinn kam. Wahrhaftig, das mußte es sein, dachte er mit einem Gefühl von Beklommenheit. Natürlich: hatten die Yags nicht gesagt, sein neuer Körper arbeite besser? Aber er hatte einen so hilflosen Eindruck gemacht, als er in Romanys Gewalt gewesen war. Konnte alles das nur vorgetäuscht gewesen sein? Bei den Göttern, anders war es kaum zu erklären! Jeder, der Amenophis Fikee bewegen konnte, ihn in einen überlegenen Körper ohne Gift darin zu stecken, und nicht nur den besten Kältezauber überleben, sondern ihn selbst einen Augenblick später überwältigen konnte, war, nun, jedenfalls nicht hilflos.
Während Romany weiterschrieb, versuchte er sich klarzuwerden, welche Zeit für den Sprung in Frage käme. Eine Zeit in der Zukunft? Nein, nicht, wenn es bedeutete, die Niederlage des heutigen Abends als unwiderrufliche Geschichte zurückzulassen. Besser wäre es, in die Vergangenheit zu springen und die Verhältnisse so einzurichten, daß die Situation, welche die fehlgeschlagenen Bemühungen des heutigen Abends hätte bereinigen sollen, gar nicht erst entstünde. Wann hatten die Schwierigkeiten des Meisters mit England wirklich begonnen? Sicherlich lange vor der Seeschlacht vor Abukir im Jahre 1798, nach welcher jeder einsehen mußte, daß es den Briten beschieden war, über Ägypten zu herrschen; selbst wenn diese Schlacht einen anderen Ausgang genommen hätte und der französische General Kleber nicht ermordet worden wäre, würde England inzwischen das Heft in der Hand halten. Nein, wenn er schon zurück mußte, dann konnte er geradesogut weiter zurückgehen, in eine Zeit, als England erstmals auf dem afrikanischen Kontinent Fuß faßte. Das mußte... um 1660 gewesen sein, als Karl II. wieder auf den Thron gelangt war und die portugiesische Prinzessin Katharina von Braganza geheiratet hatte, zu deren Mitgift die Stadt Tanger gehört hatte.
Dr. Romany führte einige rasche Berechnungen aus, dann verfinsterten sich seine Züge, als er merkte, daß es keine Lücke im Umkreis von zwanzig Jahren von Karls Hochzeit gab. Es gab jedoch eine im Jahr 1684, am - er schrieb hastig weiter - am vierten Februar. Das war ein Jahr vor Karls Tod, während des ersten Versuchs seines Kairoer Meisters, den beschränkten und beeinflußbaren königlichen Bastard James, Herzog von Monmouth, als Nachfolger des willensstarken Karl einzusetzen. Fikee hatte das Newtonsche Zurückschrecken vor der Yagbeschwörung des Jahres 1666 beinahe zwei Jahrzehnte lang in der Schwebe gehalten und Anweisung bekommen, das Gleichgewicht in Gestalt eines bis dahin nie erlebten Frostes wiederherzustellen, koordiniert mit der Vergiftung des Souveräns, der Fälschung einer »neuentdeckten« Heiratsurkunde zwischen Charles Stuart und Lucy Walter, der Mutter des Herzogs von Monmouth, und der heimlichen Rückkehr des Herzogs selbst aus Holland.
Als er in aller Eile die oftmals benutzte Lanzette zu einem weiteren Venenschnitt herausnahm,
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