Die Tore zu Anubis Reich
Geistes eingekerkert.
Er tappte weiter, und nach wenigen Schritten ertastete er die kalten Gitterstangen des nächsten Käfigs. Drinnen klatschte etwas schwer auf den Boden, dann folgte ein Geräusch, als würde ein nasser Sack langsam über Steine geschleift, und dann merkte Coleridge, daß die in Abständen wiederkehrende warme Brise an seiner Hand der Atem von etwas war.
»Hallo, Mann«, sagte es mit einer abgrundtiefen Baßstimme.
»Hallo«, sagte Coleridge nervös. Und nach einer verwirrten Pause sagte er: »Sie sind eingesperrt?«
»Wir sind... alle eingesperrt«, bestätigte der Unsichtbare, und aus anderen Käfigen zu beiden Seiten kam bekräftigendes Grunzen und Zirpen.
»Seid ihr also«, murmelte Coleridge, mehr zu sich selbst als zu den eigentümlichen Stimmen, »Laster, die zu bezwingen und einzuschließen mir tatsächlich gelungen ist? Ich hatte nicht geglaubt, daß es welche gäbe.«
»Befreie uns!« sagte die tiefe Stimme. »Der Schlüssel steckt im Schloß des letzten Käfigs in der Reihe.«
»Oder seid ihr«, fuhr Coleridge fort, »was wahrscheinlicher ist, Kräfte und Tugenden, die zu üben ich zu träge gewesen bin, und die nun durch lange Vernachlässigung hier unten deformiert sind?«
»Ich weiß nichts... von diesen Dingen, Mann. Befreie uns!«
»Und wäre eine verzerrte, deformierte Stärke nicht mehr zu furchten als ein durch Verkümmerung ausgezehrtes Laster? Nein, mein Freund, ich glaube, ich wäre gut beraten, dich eingesperrt zu lassen. Ich muß gute Gründe gehabt haben, diese Gitterstäbe so fest zu machen.« Er wollte sich abwenden.
»Du kannst uns nicht einfach unbeachtet lassen.«
Coleridge hielt inne. »Kann ich das nicht?« fragte er versonnen. »Das mag wahr sein. Sicherlich gelangt man niemals zu gültigen Antworten, indem man irgendwelche Faktoren des Problems ausschließt; das war der Irrtum der Puritaner. Aber sicherlich stellen diese Käfige eine - seltene! - Manifestation meines Willens dar, meiner Herrschaft über mich selbst. Ich muß euch bereits in Betracht gezogen haben.«
»Befreie uns und du wirst Klarheit haben.«
Coleridge stand eine volle Minute grübelnd in der Dunkelheit. »Ich sehe nicht, wie ich es guten Gewissens unterlassen könnte«, sagte er bei sich und tastete sich zum letzten Käfig, wo Carringtons Schlüsselring noch vom Schloß der offenen Käfigtür hing.
Die stechenden Salmiakdämpfe rissen Ashbless aus der Bewußtlosigkeit zurück in die unerträgliche Gegenwart des schrecklichen kleinen, von Fackeln erhellten Raums. Und nicht zum ersten Mal.
Nach der letzten, vom Salmiakgeist erzwungenen Wiederbelebung hatte er gefunden, daß er fähig war, sich aus dem auf den Tisch gebundenen gequälten Körper zurückzuziehen, oder, genauer gesagt, so weit hinab in die Fiebertraumtiefen seines Geistes zu sinken, daß er Dr. Romanellis verwegene Chirurgie nur als ein entferntes Ziehen und Stoßen und Schneiden fühlte, so wie ein Taucher undeutlich die Wellenbewegung an der Oberfläche fühlen kann.
Es war eine willkommene Abwechslung von den grauenhaften Schmerzen gewesen, aber in diesem neuen Augenblick innerer Klarheit spürte er, daß er starb. Zwar war keine der Verletzungen, die Romanelli ihm zugefügt hatte, unmittelbar tödlich, doch hätte Ashbless die Fürsorge einer Intensivstation des Jahres 1983 gebraucht, um auch nur eine eingeschränkte Genesung zu finden.
Er blickte mit seinem verbliebenen Auge die nahe Wand hinauf und bemerkte ohne jede Verwunderung die Reihe der vier Zoll hohen Spielzeugmännchen auf einem Regal über der Wasserpumpe, dann rollte er seinen Kopf auf die andere Seite, und er starrte in Romanellis unheimlich angeleuchtetes Gesicht. Dies mußte doch eine Alternativwelt sein, dachte er mit kalter Distanziertheit. Ashbless starb hier im Jahr 1811. Und er starb schweigsam. Bei all seinen Fähigkeiten sollte es Romanelli schwerfallen, die Örtlichkeit einer zukünftigen Lücke daraus zu errechnen, was sein Opfer über frühere Lücken wußte. Doch auch diese Chance wollte er ihm nicht lassen. Wenn er schon sterben mußte, sollte Romanelli es nicht besser haben.
»Ihr übertreibt«, sagte Horrabins Mickimausstimme hinter ihm. »Es ist nicht so einfach und schnell wie das Aufreißen einer Kiste. Ihr tötet ihn einfach.«
»Das scheint er auch zu denken«, keuchte Romanelli. Der Zauberer stand in einem augenscheinlich schmerzhaften Netz von winzigen elektrischen Entladungen. »Aber hören Sie auf mich, Ashbless: Sie
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