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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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haben für Sie und Ihre Begleiterin eine Loge reserviert.«
    Doyle sah sich um. »Meine Begleiterin?« fragte er und kam sich vor wie der Dummkopf in einer Schmierenkomödie.
    »O ja«, zirpte der Hanswurst. »Ich glaube, ich erkenne Frau Pleite. Hm?«
    Doyle ließ sich achselzuckend nieder, dann zog er die Mütze tiefer in die Stirn. Was, zum Henker, dachte er, ich brauche erst um elf beim Boot zu sein, und es kann noch nicht halb elf sein.
    »Sehr gut!« rief die Puppe, richtete sich auf und ließ ihren unheimlich lebensechten Blick ruckartig über das armselige und wenig zahlreiche Publikum schweifen. »Nun, da Seine Lordschaft endlich eingetroffen sind, beginnen wir mit Das Reich der verborgenen Schönheit, oder Hanswursts Neue Oper.«
    Im Innern der schmalen Schaustellerbude fing eine melancholische Drehorgel an zu spielen und brachte unter Ächzen und Klappern die umständliche Darbietung einer Melodie zu Gehör, die einstmals ein fröhlicher Tanz gewesen sein mochte, und Doyle fragte sich, ob mehr als ein Mann hinter der Kulisse steckte, denn nun war eine zweite Puppe auf der Bühne erschienen, und wahrscheinlich wurde zum Drehen der Orgel ein Helfer benötigt.
    Die neu aufgetretene Handpuppe war natürlich Hanswursts Partnerin, und Doyle, abgestumpft vor Hunger und Erschöpfung, sah desinteressiert zu, wie die beiden abwechselnd Liebkosungen und Knüppelhiebe austauschten. Er überlegte, warum dieses Stück ›Hanswursts Neue Oper‹ genannt worden war, denn es schien die gleiche alte Geschichte sinnloser Barbarei zu sein: Hanswurst erhielt den Auftrag, sich um den weinenden Säugling zu kümmern, sang ihm etwas vor, um ihn zur Ruhe zu bringen, um ihn schließlich mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen und aus dem kleinen Fenster der Bühnenausstattung zu werfen. Als nächstes bekannte er die Tat seiner Gefährtin, und dann, als sie ihn dafür verprügelte, brachte er sie um. Doyle gähnte kräftig und hoffte, die Vorstellung werde nicht allzu lang dauern. Die Sonne hatte sich endlich durch die graue Hochnebeldecke gebrannt und begann alte Fischgerüche aus seiner abgewetzten Cordjacke zu backen.
    Als nächste Puppe trat Harlekin auf, obwohl sein Name in dieser Version wie »Horrorbien« klang und er auf Stelzen ging. Aktuelle Satire, dachte Doyle, denn im Laufe des Vormittags hatte er mehrmals einen Clown auf Stelzen zwischen den Marktständen gesehen, und diese Handpuppe war offensichtlich eine Nachahmung, bis hin zu der etwas beängstigenden Gesichtsbemalung. Der Harlekin fragte Hanswurst in einem Ton gespielter Strenge, wie er sich zur Ermordung seiner armen Frau und des unschuldigen Kindes stelle.
    »Nun, ich denke, ich werde zur Polizeiwache gehen und mich einsperren lassen«, sagte Hanswurst traurig. »Ein mörderischer Spitzbube wie ich sollte gehängt werden.« Nanu, dachte Doyle, ein Hanswurst mit Moral? Das ist ja wirklich eine Neuerung.
    »Und wer sagt das?« versetzte Harlekin, der einen Arm vom Stelzengriff ließ und auf Hanswurst zeigte. »Wer sagt, du solltest gehängt werden? Die Polizei? Hast sie wohl gern, die Gendarmen, was?« Hanswurst schüttelte den Kopf. »Der Magistrat? Was steckt mehr dahinter als eine Schar fetter alter Dummköpfe, die nicht wollen, daß du dein Vergnügen hast?« Hanswurst dachte nach und mußte zugeben, daß Harlekin recht hatte. »Ist es vielleicht Gott? Ein bärtiger Riese, der in den Wolken wohnt? Hast du ihn je gesehen, oder sagen hören, du darfst nicht tun, was dir gefällt?«
    »Nun - nein.«
    »Dann komm mit mir!«
    Die zwei Puppen gingen zusammen hin und her, und nach ein paar Augenblicken erschien die Puppe eines Gerichtsbüttels und verkündete, sie habe einen Haftbefehl, »um dich hinter Schwedische Gardinen zu bringen, Hanswurst«. Hanswurst war bestürzt, aber Harlekin zog ein kleines blitzendes Messer aus dem Ärmel und stieß es dem Büttel ins Auge. Die Straßenjungen in Doyles Umkreis jubelten, als der Büttel fiel.
    Hanswurst tanzte im Kreis herum, erfreut über diese glückliche Wendung. »Harlekin«, sagte er zu seinem Retter, »kannst du uns eine Mahlzeit beschaffen?«
    Die Geschichte folgte nun wieder dem gewohnten Schema. Hanswurst und Harlekin stahlen einen Ring Würste und eine Bratpfanne aus dem Haus eines Wirtes, den sie kurzerhand umbrachten.
    Der vergnügte Hanswurst vollführte einen wirbelnden Tanz mit dem Ring von Würsten, als eine kopflose Puppe auftrat, die gleichfalls tanzte, wobei der Halsstumpf im Takt der beschleunigten

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