Die Tore zu Anubis Reich
Shilling?« sagte Doyle verzweifelt. »Alles, was ich habe, sind zehn Pennies!«
Sofort schoß die offene Hand des Alten vor. »Die Zweipence können Sie mir schuldig bleiben, Sir.«
Doyle zögerte. »Wird er mir Essen und ein Bett verschaffen können?«
»Oh, ganz gewiß! Niemand wird von Horrabins Halle abgewiesen.«
Die zitternde Handfläche war noch ausgestreckt, und Doyle suchte das Geld aus der Tasche, seufzte und legte seine Sechspence und vier Pennies sorgsam hinein. »Also... führen Sie mich hin!«
Der alte Mann ließ Münzen und Pfefferminzbonbons in einer Tasche verschwinden und schob das Tablett unter seinen Mantel, dann nahm er hinter sich einen Stock vom Pflaster auf und stemmte sich daran empor. »Dann kommen Sie«, sagte er und marschierte energisch ausschreitend nach Westen, woher Doyle gerade gekommen war; dabei tappte er mit dem Stock ziemlich oberflächlich vor sich her. Doyle mußte lange Schritte machen, um nachzukommen.
Schwindlig vor Hunger, denn er hatte seine Suppe und den Kartoffelbrei im Büro der Morning Post verloren, blinzelte Doyle in den Sonnenuntergang und konzentrierte sich darauf, mit dem alten Bettler Schritt zu halten, und so kam es, daß er sich zwar undeutlich eines lauten Ratterns in seiner Nähe bewußt war, aber nicht die Person bemerkte, die neben ihn kam, bis eine nur zu gut erinnerte Hand sein Hosenbein faßte. Er geriet aus dem Gleichgewicht und fiel schmerzhaft vornüber auf das Kopfsteinpflaster.
Zornig wandte er den Kopf und sah in Roller-Benjamins bärtiges Gesicht auf. Der Karren des Beinamputierten hatte Doyles Knöchel angefahren und war dadurch zum Stillstand gekommen. »Verdammt«, keuchte Doyle, »lassen Sie los! Ich bettle nicht, und ich muß diesem...«
»Nicht mit Horrabin, Mann«, sagte Benjamin, und in seiner halblauten Stimme war ernste Dringlichkeit. »Du bist nicht schlecht genug, um bei der Bande Erfolg zu haben. Komm mit.«
Der alte Bettler hatte kehrtgemacht und kam zurückgeeilt; er faßte Roller-Benjamin so scharf ins Auge, daß seine Blindheit, wie Doyle jetzt verspätet erkannte, ein Schwindel sein mußte. »Was mischst du dich ein, Benjamin?« zischte der Alte. »Hat Käptn Jack es neuerdings nötig, Rekruten anzuwerben?«
»Laß gut sein, Bugs!« sagte Roller-Benjamin. »Er ist nicht von eurer Sorte. Aber hier hast du deinen Finderlohn, kannst dich bei Kopenhagen-Jack bedanken.« Er fischte zwei Sechspences aus der Westentasche und warf sie dem Alten zu. Bugs fing sie mit einer Hand aus der Luft. »Sehr gut«, sagte er und steckte die Münzen zu seinen Pfefferminzbonbons. »Auf dieser Basis kannst du dich jederzeit einmischen.« Er lachte krächzend und zog in Richtung Billingsgate davon, und erst nach dreißig Schritten begann er mit dem Stock vor sich her zu tasten. Doyle stand auf und belastete vorsichtig den schmerzenden Knöchel.
»Bevor er verschwindet«, sagte er, »sollten Sie mir lieber sagen, ob Ihr Kopenhagen-Jack mir Essen und ein Nachtlager geben kann.«
»Ja, und von beidem eine bekömmlichere Sorte als du von Horrabin gekriegt hättest. Gott, du bist mir ein hilfloser Tropf! Hier entlang, komm mit!«
Der Speiseraum des Bettlerhauses in der Pye Street war länger als breit, mit acht großen Fenstern aus verbleiten Butzenscheiben auf der Straßenseite. Das Streulicht einer Laterne über dem Hauseingang wurde in Wirbelmustern von den kleinen runden Scheiben reflektiert, aber die Beleuchtung des Raumes besorgten helle, an Ketten von der Decke hängende Öllampen und zwei Kerzen auf jedem der acht langen Tische. Die schmale Ostseite des Raums war gegenüber dem Rest durch eine Plattform herausgehoben, zu der in der Mitte vier Stufen hinaufführten; zu beiden Seiten der Stufen begrenzte ein Holzgeländer den Rand der Plattform; diese Eigentümlichkeit gab dem Raum das Aussehen eines Schiffsdecks mit der Plattform als Vorderdeck.
Die an den langen hölzernen Tischen versammelten Bettler glichen einer Parodie auf die zeitgenössische Kleidung: man sah die geflickten, aber makellosen sauberen Fräcke und weißen Handschuhe der verarmten Herren, jener Bettler, die Mitleid zu wecken suchten, indem sie - bisweilen wahrheitsgemäß - angaben, Aristokraten von edler Geburt zu sein, die durch finanzielle Rückschläge oder Alkohol ruiniert worden seien; die marineblauen Hemden und Hosen, Taugürtel und schwarzen Wachstuchmützen mit den Namen eines Schiffes in verblaßten Goldlettern, Kennzeichen der schiffbrüchigen Matrosen,
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