Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
eben noch verborgen hatte. Die Augen der Kreatur schienen größer zu werden, falls das überhaupt möglich war, als sie die blanke Erde dahinter sah, und sie sank auf die Knie.
»Warum«, die Stimmen waren laut und klagend, »machst du es mir so schwer?«
Ob der Dämon tatsächlich in der Lage war zu schluchzen, wollte Kataria später überlegen. Denn in diesem Augenblick sah sie eine Chance.
Als sich das Abysmyth vorbeugte, öffnete sich die klaffende Wunde auf dem Rücken der Kreatur ein wenig weiter, und der grüne Schleim am Rand der Verletzung pulsierte leicht. In der Wunde, hinter schwarzen Rippen, sah Kataria es: Es war in der Dunkelheit kaum zu erkennen, aber es war rund und geschwollen wie eine überreife Melone.
Das Herz.
Sie spannte die Sehne und zielte sorgfältig. Sie spürte, wie sich ihre Pupillen weiteten, während das Herz der Kreatur schlug, mit jedem Pumpen des verfluchten Blutes größer wurde, bis es in ihrem Blickfeld fast die Größe eines Felsbrockens einnahm. Die Federn des Pfeils berührten ihre Lippen, die sich zu einem Grinsen verzogen.
»Eins.« Das Flüstern ihrer Stimme und der Sehne waren eins.
Der Pfeil schoss kreischend durch den Rauch und schlug mit einem dumpfen, nassen Klatschen in sein Ziel ein. Kataria biss sich auf die Zunge, um nicht wie verrückt über ihren Sieg zu kichern.
Aber in der Zeit, in der ihr Herz einmal schlug und dann pausierte, erhob sich das Abysmyth, drehte sich herum und richtete den Blick zweier ausdrucksloser Augen auf sie. Sie sah die Pfeilspitze, die aus seinem Brustkorb ragte, ebenso deutlich, wie sie erkannte, dass es einen mächtigen Satz auf sie zu machte.
»Gesegnet sei die Abgründige Mutter!«, gurgelte es. »Der Weg wurde gewiesen.«
Warum sie sich nicht rührte, als das Abysmyth sich auf sie stürzte, wusste Kataria nicht. Sie hatte keine Ahnung, warum sie einfach nur dastand, mit offenem Mund, als es eine Klaue nach ihr ausstreckte. Vielleicht, dachte sie durch einen Nebel von Ehrfurcht, bin ich einfach zu entsetzt. Wahrscheinlicher jedoch war, dass sie wie erstarrt war, weil sie das Herz der Kreatur sah, das von einem Pfeil durchbohrt blutleer weiterhin schlug.
Sie wich taumelnd zwei Schritte zurück, bevor der Arm der Kreatur lautlos vorzuckte, eine Klaue sich um ihren Hals legte und sie hoch in die Luft hob. Das Abysmyth zitterte nicht einmal, als ihre Sinne wieder erwachten und sie mit ihrer behandschuhten Faust auf seine Klaue einhämmerte, gegen seinen Brustkorb trat, als es sie zu sich zog.
Es betrachtete sie nur, verstärkte seinen Griff und gurgelte: »Schlaf.«
Im selben Moment sickerte der Schleim aus dem Handteller der Kreatur. Kataria spürte sofort, wie er sie erstickte, sich um ihre Kehle schlang, als er wie Schnecken ihren Kiefer hinaufkroch. Ihr Instinkt befahl ihr zu schreien, aber ihr Überlebenswille verlangte von ihr, den Mund zusammenzupressen und dem Schleim jede Tür in ihr Inneres zu versperren.
Das Bild von Mossud schoss ihr durch den Kopf, als sie
auf den glitzernden Schleim starrte. Sie sah sich statt des armen Seemanns in dem schimmernden Spiegel: den Mund weit aufgerissen, die Augen starr, mit einer Haut von widerlichem Schleim über dem Gesicht, regungslos und atemlos auf der Erde liegend, wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gezogen hatte.
Ob das Abysmyth ihre Furcht bemerkte, war seinen ausdruckslosen Augen nicht anzumerken.
»Ich kann deine Gedanken hören«, stieß es hervor. »Du glaubst, der Hirte wäre verrückt, weil er seine Herde abschlachtet und es Barmherzigkeit nennt.« Es verstärkte seinen Griff. Kataria spürte, wie etwas in ihrer Kehle knackte. »Deine Ohren sind von all dem wahnsinnigen Geschrei so taub, das du die Stimme deines Gottes nennst.«
Der Schleim kroch ihren Kiefer hinauf, und dicke, zähe Tentakel zerrten an ihren Mundwinkeln.
»Die Wahrheit ist nicht immer erfreulich«, fuhr es fort. »Aber sie ist immer notwendig, und diese Wahrheit legt sich jetzt beharrlich über dich.« Seine Finger zuckten, und der Schleim kroch weiter hinauf. »Das ist Barmherzigkeit, denn dir werden die Tragödien erspart, die sich noch ereignen werden.«
Ihre Nasenflügel zitterten, sogen verzweifelt Luft ein, als der Schleim ihre zugepressten Lippen bedeckte und die nächste Öffnung suchte. Sie hämmerte auf den Arm des Abysmyth ein, aber ihre Fäuste prallten von seinem dürren Glied ab.
»Diese Welt wird ertrinken«, sagte es, ohne auf ihre Gegenwehr zu achten. »Aber nur deine
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