Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
»Hast du darüber schon mal nachgedacht, Dummkopf?«
»Möchtest du mir vielleicht irgendetwas sagen?« Die Frage wurde von einem Seufzer untermalt, weil er sehr genau wusste, dass er das, was sie ihm vielleicht sagen wollte, sicher nicht hören wollte. »Seit wir diesen Kadaver verlassen haben, bist du zickig.«
»Stell dir vor«, höhnte sie, »aber Nahtoderfahrungen machen mich ein bisschen nervös.«
»Klar, nervös.« Er warf einen Blick auf den Bogen in ihren Händen. »Sind Nahtoderfahrungen etwas, das du gern mit anderen teilen möchtest? Du zielst seit fast einer halben Stunde mit diesem Ding auf mich.«
»Wirf du mir nicht vor, dass ich vorsichtig bin.«
»Vorsicht ist eine Sache«, antwortete er. »Aber du bist geradezu hysterisch. Und auch wenn ich dir das bisher noch nie vorgeworfen habe, muss ich dich jetzt fragen«, er neigte den Kopf und sah sie besorgt an, »was eigentlich los ist.«
Ihre Reaktion beruhigte ihn in keiner Weise.
Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen, während sie sich auf der Lichtung umsah, als erkundete sie einen Fluchtweg. Sie senkte weder den Bogen, noch entspannte sie die Sehne. Sie wirkte so furchtsam wie ein nervöses Tier, während sie ihn gleichzeitig beobachtete, als wäre er ein blutrünstiges Raubtier.
Er wusste, dass er ihr dieses Verhalten nicht verübeln sollte; sie hatte die Berührung des Abysmyth gerade eben überlebt. Furcht und Panik waren in so einem Fall gewiss normale Reaktionen. Aber ihm gegenüber? Sie hatte Angst vor dem Mann, der sie gerettet hatte? Der sie für mehr als nur eine Shict hielt?
Er spürte, wie er unwillkürlich die Fäuste ballte, und zwang sich, sie wieder zu entspannen. Etwas in ihm jedoch drängte ihn, die Fäuste geballt zu lassen. Etwas in ihm sprach.
»Ignoriere sie«, befahl die Stimme. »Wenn sie uns verhöhnen will, dann lass sie hier verrotten, während wir unsere Arbeit tun. Es gibt noch mehr Abysmyths. Das wissen wir.«
Er biss die Zähne zusammen und versuchte, die Stimme nicht zu beachten. Aber seine Gedanken schienen aus Glas, und die Stimme war ein Laut gewordener Fels. Er spürte, wie seine Gedanken zerbarsten, und als die Stimme erneut sprach, schien sie von Tausenden von Scherben widerzuhallen.
»LASS SIE ALLEIN!«
»Kat!« Er hätte fast geschrien.
Sie sah ihn an, und ihre Ohren zuckten, als könnte sie seinen inneren Tumult hören. Knurrend zwang er sich, eine besorgte Miene aufzusetzen, und kniff die Augen zusammen.
Reg sie nicht auf, ermahnte er sich, sorg dafür, dass sie es nicht hört …
»Hör zu«, seine Stimme klang selbst in seinen Ohren gepresst. »Du kannst es mir sagen. Ich bin nicht der Feind.«
Sie legte unsicher den Kopf schief. Erneut zerbarst etwas in ihm. Sein Herz verkrampfte sich unter ihrem argwöhnischen Blick, und er spürte, wie sein Gesicht sich bei dem Schmerz in seiner Brust verzerrte.
»Kataria«, flüsterte er, »vertraust du mir?«
»Normalerweise schon«, antwortete sie.
Ihr Gesicht schmolz fast bei dem schweren Seufzer, mit dem sie ihre Schultern heruntersacken und den Bogen sinken ließ. Ihre Miene konnte ihn jedoch nicht trösten; sie wirkte weniger bedauernd als vielmehr erschöpft, als wäre allein die Vorstellung, mit ihm zu reden, schon eine Niederlage.
»Erinnerst du dich an das Abysmyth?«, fragte sie.
»Das«, er blinzelte, »kann man wohl nur schwer vergessen.«
Er spürte, wie sein Herz unter ihrem Blick gefühllos wurde, einem Blick, der ebenso schrecklich und scharf war wie ein Pfeil.
»Also gut«, fuhr er fort. »Nein, ich erinnere mich nicht. Ich kann mich kaum an etwas erinnern, was passiert ist, nachdem ich am Strand dieser verfluchten Kreatur begegnet bin.«
»Du … bist dem Abysmyth begegnet?«
»Und ich habe mich mit ihm unterhalten.« Er nickte. »Es ist ein recht höflicher Dämon, wenn man ihn in den Pausen zwischen den Zerstückelungen erwischt.«
»Du sagtest, du könntest dich an kaum etwas erinnern.« Seine Ironie schien sie nicht sonderlich zu beeindrucken. »Woran erinnerst du dich?«
An Stimmen. Vielmehr, an eine Stimme, in meinem Kopf. Eisig und wütend. Sie befahl mir, mein Schwert zu zücken und den Dämon zu töten. Sie befahl es mir Hunderte von Malen. Sie befahl mir, es zu töten, abzuschlachten, zu zerstückeln. Und das habe ich
gemacht. Ich weiß, dass ich dazu eigentlich nicht hätte fähig sein sollen, aber ich war es. Ich habe die verfluchte Kreatur getötet und weiß nicht, warum. Und als ich es tat, hat die
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