Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
dem Geschehen freudlos zusah, Massols Schreien ohne Erbarmen lauschte und keine Träne wegen des Gemetzels vergoss, das sie mit ansah, während ihr Gesicht von dem blauen Schein erhellt wurde.
Als es vorbei war und Bralston die letzten Funken von seinen Fingern schüttelte, während der verkohlte Leichnam an der Tür heftig zuckte, nickte der Bibliothekar der Frau knapp zu. Dann sah er zu dem Lektor hinüber, der die qualmenden Leichen auf dem Boden seines Zimmers mit demselben Ekel betrachtete, mit dem er einen Weinfleck auf seinem Teppich gemustert hätte.
»Also morgen?«, erkundigte sich Bralston.
»Bei Tagesanbruch. Es ist ein langer Weg nach Port Destiny.« Er hob eine Braue. »Und bringt diesmal Euren Hut mit, Bibliothekar.«
Bralston neigte seinen kahlen Kopf, raffte seinen Umhang um sich und verließ das Zimmer. Der träge Blick des Lektors glitt von den beiden Leichen zu der Frau, die dasaß und sie mit einem ausdruckslosen Blick anstarrte. Ihr Körper war steif wie ein Brett. Erst als er das Häufchen Asche in der verkohlten Hand des Klippenaffen bemerkte, seufzte er.
»Welch eine Verschwendung von gutem Pergament ...«
Es gab keinen Unterschied zwischen Himmel und Meer, jedenfalls keinen, den Lenk hätte entdecken können.
Beide schienen sich endlos auszudehnen. Der Horizont hatte schon lange die letzten Spuren von Land verschluckt und die Welt in eine Vision von Indigo verwandelt. Der Mond verabschiedete sich früh und still, verschwand hinter einem Vorhang von Wolken, die träge über den Himmel glitten. Kein gelber Kreis unterbrach die Monotonie; die Welt bestand aus einem schmerzhaften Blau, das sämtliche Richtungen zu verwischen schien.
Der junge Mann schloss die Augen und sog die Luft durch die Nase ein. Er roch den regengeschwängerten Wind, den salzigen Duft des Meeres. Er hob die Hände, als wollte er den Gott anbeten, der ihm dieses unveränderliche Azur geschickt hatte, das ihn umgab, und ließ den Atem langsam zwischen den Zähnen entweichen.
Dann schrie Lenk.
Sein Schwert sprang ihm in die Hand, scheinbar ebenso begierig wie er, sich über den Rand ihres winzigen Bootes zu beugen. Das Singen des Stahls bot einen summenden Kontrast zu seinem wahnsinnigen Heulen, als er auf den Ozean einhackte und ihm schaumige Wunden in sein endloses Leben schlug.
»Stirb! Stirb, stirb, stirb ... stirb! «, schrie er, während er sein
Schwert in die salzigen Fluten rammte. »Das reicht! Es ist genug! Ich habe es satt, hörst du mich?« Er legte die Hände wie einen Trichter um seinen Mund. »Hörst du mich? «
Das Wasser beruhigte sich rasch, der Schaum löste sich auf, die Wellen glätteten sich, und Lenk konnte sein unruhiges Spiegelbild im Wasser betrachten. Sein silbriges Haar hing in fettigen Strähnen um sein ausgemergeltes Gesicht. Die dunklen Tränensäcke machten allmählich dem eisigen Blau seiner Augen Konkurrenz. Lenk betrachtete das verzerrte Abbild eines Wahnsinnigen, der seinen Blick aus dem Wasser erwiderte, und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob der Ozean ihn absichtlich verhöhnte.
Nein, dachte er, er ist viel zu gleichgültig, um mich zu verhöhnen ...
Wie hätte das Meer auch sonst sein können? Schließlich wusste es ebenso wenig wie Lenk, womit es aufhören sollte. Sollte es aufhören, der Ozean zu sein? Am ersten Tag, als ihr winziges Segel schlaff und ohnmächtig an dem lächerlich dünnen Mast hing, hatte er solche Gedanken noch als Verrücktheit abgetan. Aber als der Abend des zweiten Tages allmählich in die Nacht überging, kam ihm diese Forderung nicht mehr ganz so unvernünftig vor.
Der Ozean, dachte er verächtlich, ist derjenige von uns beiden, der unvernünftig ist. Ich hätte nicht zur Gewalt greifen müssen, wenn es nur ein bisschen Wind gegeben hätte.
»Hat noch nicht funktioniert, stimmt’s?«
Er riss die Augen auf und musste sich zusammennehmen, nicht über Bord zu springen, um mit dem plötzlich so redseligen Wasser zu kommunizieren. Doch diese trügerische Hoffnung währte nur einen Moment, bevor sie zerbröckelte und nur Widerwillen auf seiner finsteren Miene zurückließ.
Er knirschte mit den Zähnen, als er sich zu der Kreatur umdrehte, die neben ihm saß, und musterte sie mit einem mörderischen Blick. Sie jedoch betrachtete ihn nur mit einem herablassenden Ausdruck in ihren grünen, halb von ihren Lidern verborgenen Augen. Die Läppchen ihrer langen, spitzen
Ohren wiesen drei grobe Rillen auf, die von oben nach unten verliefen. Die Muscheln
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