Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
Schwarzholz bestand.«
Eine Schiffbrüchige, dachte Bralston, tat den Gedanken jedoch rasch ab. Ganz gewiss würde kein vernünftiger Mensch wegen einer solchen Trivialität die Hilfe des Venarium beanspruchen.
»Schiffe aus Schwarzholz segeln nicht so weit im Süden.« Massols Augen verengten sich, als hätte er die Gedanken des Bibliothekars gelesen. »Sie behauptet, sie wäre von einem Ort noch weiter westlich abgetrieben worden, in der Nähe der Inseln von Teji und Komga.«
»Diese Inseln sind nicht bewohnt«, murmelte Bralston zu sich selbst.
»Und ihre Geschichte wird von da an noch unglaubwürdiger«, gab Massol zurück. »Es sind Geschichten von Echsenmännern, von purpurnen Frauen ...« Er winkte ab. »Wahnsinn.«
»Nicht, dass der Gedanke, sie aufzuspüren, uns nicht in den Sinn gekommen wäre«, mischte sich Shunnuk mit einem anzüglichen Grinsen ein. »Purpurne Frauen? Jeder vernünftige Edelmann, der mit normaler Neugier und gesundem Appetit ausgestattet ist, müsste sich schon sehr zusammennehmen, wenn er sich nicht fragte, ob sie wirklich überall purpurn sind oder...«
»Ich glaube, es wird Zeit, die eigentliche Zeugin anzuhören.« Lektor Annis unterbrach den Mann und hob die Hand. Dann drehte er sich auf seinem Stuhl um und richtete seinen
prüfenden Blick auf die Frau. »Wiederhole deine Geschichte für Bibliothekar Bralston.«
Ihre einzige Reaktion bestand darin, den Kopf noch mehr zu senken. Sie schien sich zusammenzufalten, umschlang sich mit den Armen, zog die Knie an ihre Brust, als versuchte sie, in sich selbst zu verschwinden, bis nichts mehr übrig blieb als der leere Stuhl.
Bralston spürte, wie seine Miene sich immer mehr verfinsterte. Er hatte bereits zuvor gesehen, wie Frauen und Mädchen versucht hatten, sich unsichtbar zu machen. Es gab immer wieder neue Frauen, die in Anachas Arbeitsstelle aus und ein gingen, junge Frauen, deren Eltern keine andere Möglichkeit fanden, ihre Schulden zu begleichen, Mädchen, die aus der Wüste geraubt und in Seide gekleidet wurden, die auf ihrer Haut juckte. Häufig hatte er gesehen, wie sie zu wartenden Kunden in ihre neuen Gemächer geführt wurden, im Licht gedämpfter Laternen, um die Tränen auf ihren Gesichtern zu verbergen.
Er hatte sich oft gefragt, ob Anacha ebenfalls solche Tränen geweint hatte, als sie so jung gewesen war. Und er fragte sich stets, ob sie es immer noch tat.
Diese Frau hier jedoch hatte keine Tränen mehr zu vergießen. Woher auch immer sie gekommen war, sie hatte dort ihre Tränen vergossen, dort waren sie versiegt. Und zwar durch Gewalt, folgerte er, wenn man den Schwellungen auf ihrem Gesicht glauben konnte. Er ging vor ihr auf ein Knie, wie vor einem Welpen, und bemühte sich, in ihr Gesicht zu blicken, wollte sie überzeugen, dass alles gut würde, dass der Ort des Gesetzes ein sicherer Hafen vor Gewalt und vor Barbarei wäre, dass sie die Zeit bekäme, die sie brauchte, um ihre Tränen wiederzufinden.
Lektor Annis teilte diese Empfindsamkeit offenbar nicht.
»Bitte!«, drängte er sie. Seine Stimme klang sonor und hallte, ein Ton, den er für gewöhnlich Anrufungen vorbehielt. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die Finger aneinander, um klarzumachen, dass dies keine Bitte war.
»Ich war ...«, ihre Stimme drang zögerlich und krächzend aus ihrer Kehle. »Ich war eine Händlerin. Eine Gewürzhändlerin aus Muraska, und ich wollte nach Cier’Djaal. Wir sind vor zwei Monaten durch die See von Buradan gesegelt.«
»Jetzt wird es interessant«, sagte der Klippenaffe, dessen Grinsen noch breiter wurde.
»Schweig! Bitte!«, fuhr Bralston ihn an.
»Wir wurden ... wir wurden angegriffen«, fuhr sie fort. Sie begann zu keuchen. »Schwarze Boote bedeckten das Meer, wurden von purpurnen Frauen in schwarzen Rüstungen gerudert. Sie landeten, zückten ihre Schwerter, töteten die Männer... sie töteten alle bis auf mich.« Sie starrte ins Nichts, während ihre Erinnerung über das Meer zurückzugleiten schien. »Wir wurden... ich wurde mit der Fracht umgeladen.
Da war eine Insel. Ich weiß nicht, wo. Männer mit schuppiger grüner Haut entluden die Boote, während die purpurnen Frauen sie mit Peitschen schlugen. Die Männer, die tot und blutüberströmt zu Boden fielen, wurden ... sie wurden verfüttert ... an ...«
Ihr Gesicht zuckte, als Qual und Furcht versuchten, ihre erstarrten Züge zu verziehen. Bralston sah, wie ihre Hände zitterten und ihre Finger sich in ihren zerfetzten Rock
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