Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
lachte und stand auf. »Ich gehe dir etwas jagen.«
»Das weiß ich sehr zu schätzen«, antwortete er.
»Das wird sich ändern, sobald du herausfindest, was man hier so isst.«
Sie ging zur Tür und spürte keinen Blick auf ihrem Rücken, was sie sehr erleichterte. Sie hörte, wie er schnell und regelmäßig atmete. Sein Herzschlag hallte nicht mehr in ihren Ohren. Sie lächelte, als sie den Lederlappen zur Seite schob.
Nur eine flüchtige Anziehungskraft, sagte sie sich . Er war nur begeistert, weil er am Leben war und wach. Seine ganze Aufmerksamkeit war nur deshalb auf dich gerichtet, weil du zufällig da gewesen bist ... weil du neben ihm gewacht hast. Nein! Sie musste sich zusammenreißen, um sich nicht mit der Faust gegen die Schläfe zu hämmern. Nein, nein. Fang nicht wieder damit an. Er war ... er war wie ein junger Welpe. Genau. Er ist im Moment einfach nur glücklich. Sobald er etwas zu essen hat, wird er alles andere vergessen, auch dass du da gewesen bist ... und dass er deine Ohren berührt hat ...
Sie hob die Hand und zupfte an ihrem Ohrläppchen. Sie konnte immer noch seine Finger fühlen und den Geruch seines Schweißes riechen, der sich mit ihrem vermischt hatte.
Er wird all das vergessen, sagte sie sich, und dann kannst du es auch.
»Kat?«
Dreh dich nicht herum. Sieh ihn nicht an. Lass dir nicht anmerken, dass du ihn überhaupt gehört hast.
»Ja?«
»Ich bin froh, dass du am Leben bist.«
»Klar.«
Sie trat ins Tageslicht und wartete, bis der Lederlappen wieder vor die Tür fiel, sodass sie seine Atemzüge nicht mehr hören konnte. Dann ließ sie ihr Kinn auf die Brust sinken und stieß einen langen, müden Seufzer aus.
»Verdammt«, flüsterte sie, als sie durch den Sand davonging. »Verdammt, verdammt, verdammt ...«
Er stellte fest, dass er sich nicht an seinen Namen erinnern konnte.
Andere Erinnerungen kehrten zurück, ebenso so deutlich wie die Stadt, die in der Ferne vor ihm lag.
Port Yonder. Wenigstens ihr Name haftete ihm noch im Gedächtnis.
Er hatte einmal dort gelebt, hatte ein Haus auf dem Land besessen, damals, als unter seinen Fußsohlen noch nicht die trockene Erde brannte. Es war aus Stein gebaut, der damals solide gewirkt und das Gewicht einer Familie getragen hatte. Damals hatte er sich der hirnlosen, viehischen Genugtuung hingegeben, zu einem Tempel aufzublicken und zu einer Göttin zu beten, deren Priester ihm eingeredet hatten, sie würde ihn beschützen. Er erinnerte sich daran, Nächte durchlebt zu haben, in denen dieses Wissen alles war, was er brauchte.
Er hatte einst gewusst, wie es war, ein Mensch zu sein.
Doch das war schon lange her. Es war zu einer Zeit gewesen, in der er noch nicht wusste, dass das Gewicht der Menschheit nicht von dem zerbrechlichen, unsicheren Land getragen werden konnte. Zu einer Zeit, in der er noch nicht wusste, dass Stein, Bäume und Luft ausnahmslos unter gnadenlosen Fluten nachgaben. Zu einer Zeit, bevor seine Göttin seine Hingabe und seine Opfergaben als unzureichend ansah und ihm boshafterweise zum Ausgleich dafür seine
Familie genommen hatte. Auch sein Name stammte aus dieser Zeit.
Bevor er Mund von Ulbecetonth wurde.
»Es verlangt dich also, deinen Namen zu wissen?«
Die Zwillingsstimmen des Propheten erhoben sich melodisch aus der Tiefe. Er blickte über den Rand des winzigen Felsens, auf dem er hockte, und sah den Schatten des gewaltigen Fisches, der seinen steinigen Sitzplatz umkreiste. Er erinnerte sich daran, wie er diesen Schatten zum ersten Mal gesehen hatte, und an die goldenen Augen, die zu ihm hinaufgeblickt hatten. Damals waren es sechs Augen gewesen; jetzt waren es nur noch vier. Ein Augenpaar war von ketzerischem Stahl für immer geschlossen worden.
»Mich verlangt nach nichts«, antwortete er, »außer dass Mutter befreit wird.«
Die wahre Mutter, rief er sich ins Gedächtnis, nicht die Seemutter.
Die Seemutter war die Fiktion einer wohlwollenden, freundlichen Gottheit, die Mitleid mit den ans Land gefesselten Kreaturen hatte und sie mit den Schätzen der Tiefe segnete. Die Seemutter war eine Idee, die gedankenlose Gebete belohnte, nur bescheidene Opfer verlangte und dafür Familien beschützte.
Die Seemutter war eine Lüge.
Die Abgründige Mutter war Gnade.
»Befreiung ist eine gerechte Sache, wahrlich«, antwortete der Prophet. »Und wegen dieser Sache bitten wir dich, erneut in das Gefängnis von Erde und Wind zurückzukehren. Vater muss befreit werden, damit Mutter sich erheben
Weitere Kostenlose Bücher