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Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Sykes
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grüne Glieder den schmiedeeisernen Schlüssel zutage. Nachdem er mit den Fingern in der Dunkelheit verschwunden war, ertönte ein leises Klicken. Die Tür des Käfigs ächzte, als sie aufschwang, und schleifte den erstarrten Leichnam mit sich über das Deck.
    Er trat aus dem Nichts, wie eine grüne Pflanze aus dunkler Erde, schritt leicht auf Füßen, die Daumen besaßen. Die endlose
Zeit in einem engen Käfig hatte ihn nicht gebeugt, denn er erhob sich und hätte fast mit seinem kahlen Schädel die Unterseite der Laterne berührt, die über ihm schwankte. Von seinen Lenden aufwärts bedeckten lange Linien von Symbolen seinen Körper, von denen jeder eine Geschichte erzählte.
    Eine Geschichte des Todes. Von Ehefrauen. Kindern. Mördern.
    Keines dieser Symbole war größer als ein Daumenabdruck, aber alle Trauer und aller Hass waren in diesem Muster aus Linien verdichtet, Linien, die nur ein Shict entziffern konnte.
    Wie Kataria.
    »Wie ist dein Name?«, erkundigte sie sich.
    Er richtete den gelassenen Blick seiner blauen Augen auf sie. »Du kennst ihn bereits.«
    Aus seinem Mund klang die shictische Sprache, ihre Sprache, so beredt. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, ob er den Staub auf ihrer Zunge hören konnte.
    Sie lauschte in sich, hörte auf das Heulen.
    »Naxiaw.« Sie sah zu ihm hoch. »Es ... es freut mich, dass es dir gut geht.«
    »Es freut dich?« Seine Lippen gaben in einem breiten Lächeln den Blick auf seine Zähne frei; seine Reißzähne waren zweimal so groß wie ihre. Lange Arme breiteten sich in einer Geste aus, die fast so herzlich war, dass sie vergessen konnte, dass sie eben ein Langgesicht durch Gitterstäbe gezogen hatten. »Schwester. Wir sind keine Fremden.«
    Es hätte sie vielleicht schockiert, ihr eigenes Lachen zu hören, und möglicherweise auch bekümmert, dass es ein wenig hysterisch klang. Doch der Gedanke ging in einem Meer von Gefühlen unter, die sie wie eine Welle zu ihm trug. Er schlang seine Arme um sie, zog sie an seine breite Brust. Ein riesiges Gewicht war von ihren Schultern gefallen, was dadurch bestätigt wurde, dass Naxiaw sie so leicht in die Luft heben konnte.
    In seinen Armen fand sie Erinnerung. Eine Hand auf ihrer Schulter, die sie beruhigte, nachdem ihre Ohren eingekerbt
worden waren. Sie fand den Geruch von Kaninchen, die auf Feuern kochten. Sie fand das klagende Lied von Bogensehnen und die traurigen Totengesänge vor den Scheiterhaufen. Sie fand Erinnerungen an ihren Vater, seine Strenge, seine Worte, seine Stimme, seine Erinnerungen. Ihre Mutter dagegen war nichts als heller Schein.
    Sie fand alles, was das Heulen ihr versprochen hatte.
    »Kleine Schwester.« Naxiaw hielt sie dicht an sich gepresst. »Du bist weit weg von zu Hause.«
    »Die Welt ist unser Zuhause«, antwortete sie. »Ganz gleich, was die Rundohren behaupten.«
    »Es wärmt mich, solche Worte zu hören.«
    Die Worte ihres Vaters.
    »Die Kreatur auf Deck«, sagte der Grünshict, »die dir so viel Gram bereitet hat. Ich habe ihn gefühlt. Ist er tot?«
    Nein , dachte sie, so schnell stirbt er nicht. Er ist da oben und blutet aus der Wunde, die ein rostiges Messer ihm geschlagen hat. Genau da, wo ich ihn zurückgelassen habe.
    Doch nicht diese Kreatur , Dummkopf , schalt sie sich selbst.
    »Du bist besorgt«, stellte Naxiaw fest.
    Pass auf, was du denkst, Schwachkopf, zischte sie in Gedanken. Und sieh ihn nicht an! Wenn er es nicht schon durch das Heulen spürt, ist es offensichtlich, sobald er in dein Gesicht blickt.
    »Das war ich«, erwiderte sie so gelassen, wie sie konnte. »Aber ich habe Kraft aus meinem Volk gezogen.«
    »Wie alle Shict es tun sollten.«
    Die Worte ihres Großvaters.
    »Jetzt ist alles gut, Schwester.« Naxiaw ließ sie zu Boden gleiten und legte dann sanft ihren Kopf auf seine Brust. »Ich lebe. Du lebst. Wir sind in Sicherheit.«
    Das Ohr an seine Brust gedrückt, konnte sie den Klang der Erinnerung in seinem Herzschlag hören. Ruhig und gleichmäßig pumpte das Herz mit jedem Stoß des Blutes klingende Zielgerichtetheit durch seine Adern. Es war sehr tröstlich zu hören, jedenfalls zunächst.
    Doch je mehr sie zuhörte, desto klarer wurde ihr, dass sie
so etwas noch nie zuvor gehört hatte. Sie hatte nie etwas gehört, das so langsam, so sicher und so zuversichtlich war. Es veranlasste sie, den Kopf von seiner Brust zu nehmen und in ihren eigenen Körper hineinzulauschen. Es rauschte nicht mehr in ihren Ohren; aber das Geräusch war dort gewesen, davon war sie

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