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Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Sykes
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tröstend klang. »Nein, das wirst du nicht .«
    Wasser drang in seinen Mund, und er konnte nicht mehr genug Willenskraft aufbringen, es auszuspucken. Die Welt verwandelte sich, wurde erst blau und dann schwarz, als er begleitet von einem gespenstischen Echo in die Dunkelheit trieb.
    »Das werde ich nicht zulassen .«

Dichterinnen hatten sicher wunderschöne Träume. Silhouetten von Frauen hinter Seidenschleiern, Visionen von Gold, die selbst ihre geschlossenen Augen blendeten, Bilder von Feuern, die so hell loderten, dass sie der Poetin den Atem raubten, noch bevor sie sie zu Papier bringen konnte.
    Anacha träumte von Vieh.
    Sie träumte davon, Ställe auszumisten und Kühe zu melken. Sie träumte von Weizen und Reis in flachen Becken, von schmutzigen Füßen, die sie fest in den Schlamm gestemmt hatte, von hässlichen Baumwollhosen, die hochgezogen und über knochigen Knien verknotet waren, während schmutzige Hände im Schlamm wühlten. Sie träumte von einer Zeit, als auch sie noch solch hässliche Kleidung getragen hatte statt der Seide, in welche sie sich jetzt gewandete, von einer Zeit, als sie sich mit Schlamm bedeckte, statt Parfüm aufzulegen.
    Und das waren die guten Träume.
    In ihren Albträumen tauchten Männer in den prachtvollen Gewändern der Geldverleiher auf, deren Gesichter gerötet waren, während sie ihren Vater anschrien und mit Schuldscheinen herumfuchtelten. Sie zwangen ihren hilflosen Vater, seinen Namen auf diese Schuldscheine zu setzen, und dann halfen ihr diese Männer mit ihren weichen, zarten Händen in eine Kiste, die mit Seide ausgeschlagen war. Sie träumte von ihren Tränen, die sich mit dem Badewasser mischten, als
Frauen, die zu alt waren, um von irgendwelchen Klienten begehrt zu werden, ihr den Schmutz von ihrer spröden Haut rieben und ihr die Schwielen von den Füßen entfernten.
    Sie hatte jede Nacht Albträume. Und sie weinte auch jede Nacht.
    Bis Bralston kam.
    Jetzt träumte sie oft von ihm, von der Nacht, in der sie ihn kennenlernte, von dem ersten Gedicht, das sie jemals gelesen hatte. Es war auf ihre Brüste und ihren Bauch gemalt, als sie in ihren Raum geschickt wurde, um einen neuen Klienten zu treffen. Ihre Tränen drohten die Schrift zu verwischen.
    »Weine nicht«, zischten die älteren Frauen. »Das ist ein Mitglied des Venarium. Ein Hexenmeister. Tue, was du immer tust, und mach es gut. Hexer verteilen ihr Gold ebenso großzügig wie ihr Feuer und ihre Blitze.«
    Anacha konnte jedoch nichts dagegen tun; sie weinte, als sich die Tür hinter ihr schloss und sie sich zu ihm herumdrehte. Er war breitschultrig, hatte eine schlanke Taille und kein einziges Haar auf dem Kopf. Er hatte sie angelächelt, selbst während sie geweint hatte, und sie zu dem Kissen geführt, auf dem sie noch viele Jahre sitzen sollten, und hatte die Poesie auf ihrer Haut gelesen. Er hatte viele Tage nur gelesen, bevor er sich schließlich nahm, wofür er bezahlt hatte.
    Doch da brauchte er es nicht mehr einzufordern.
    Sie begann sich im Schlaf nach ihm zu sehnen, rollte sich herum und suchte seine warme braune Haut in ihren seidenen Laken. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie nur eine leere Stelle fand, wo er hätte sein sollen; ein strikter Zeitplan war erforderlich, damit seine Magie korrekt strömte, wie er oft erklärte. Dass ihre Finger stattdessen ein Stück Papier ertasteten, war jedoch neu.
    Anacha öffnete die Augen, voller Furcht, dass sie schließlich den Abschiedsbrief gefunden hatte, vor dem sie sich so fürchtete. Sie löste sanft die zitternden Finger von dem Pergament. Doch ihre Furcht verwandelte sich in Überraschung, als sie den etwas zerknitterten Papierkranich auf ihrer Handfläche
ansah. Die rot gemalten Augen des Papiervogels blickten zu ihr auf, offenbar verärgert, weil ihre Finger seine Papierschwingen zerknitterten. Ohne sich dafür zu entschuldigen sah sie sich in ihrem Zimmer um, und ihre Überraschung steigerte sich zu ausgesprochener Verwirrung.
    In stummen Schwärmen hockten die Kraniche überall: auf ihrem Buchregal, ihrem Nachttisch, im Waschbecken, auf dem Spiegel und auf dem Boden. Sie starrten sie mit wachsamen blutroten Augen an, und ihre Schnäbel waren scharf und spitz gefaltet und drückten stumme Kritik aus.
    Es waren so viele, dass sie ihn möglicherweise in den Kranichschwärmen nicht entdeckt hätte, hätte sie nicht gehört, wie er mit den Fingern hingebungsvoll einen weiteren Kranich faltete. Er hockte auf ihrem Balkon, richtete sich auf und warf

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