Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
infiziert.«
»Das hat sie.«
»Aber sie hat auch gesagt, sie hätte versucht, mich zu beschützen. Ich darf wohl davon ausgehen, dass ich jetzt nicht mehr ihres Schutzes als wert erachtet werde.«
»Wir haben ein paar ihrer Kinder getötet, ja.«
»Richtig. Also ... glaube ich ihr?«
Die Stimme antwortete nicht. Er seufzte nur. An dieses Schweigen war er so gewöhnt, dass es keine Reaktion in ihm auslöste.
Er starrte ins Wasser, unsicher, was er dort finden würde. Es strömte klar und sauber an ihm vorbei, als wollte es ihm sagen, das wäre Antwort genug. Er runzelte die Stirn, war anderer Meinung. Als er das letzte Mal in diesen Fluss geblickt hatte, war er gefroren, er hatte in Worten geredet, die er barsch und scharf in seinem Schädel gehört hatte, eine Stimme, ganz anders als die, die dort für gewöhnlich hauste.
Oder hatte er sie selbst da schon gehört? Ulbecetonths fiebrige
Klauen waren damals schon in seinem Schädel gewesen. Sie hatte ihm schreckliche Dinge zugeflüstert, hatte ihn fürchterliche Dinge sehen lassen. Vielleicht war die Stimme im Eis auch nur eine Halluzination, ein weiterer Grund aufzugeben.
Aber sie hatte so klar gesprochen, ihm Dinge in einer Sprache gesagt, die er beherrschte, die er dennoch nie zuvor gehört hatte. Sie hatte ihm etwas zugeflüstert, ihm von Schicksal, von Verrat, von Pflicht von ... wovon hatte sie gesprochen? Er biss sich auf die Lippe und runzelte die Stirn, als er die Erinnerung daran wie einen Dorn durch seinen Verstand nach oben zerrte. Und als sie sich erhob, vertrieb sie den Nebel von seinem Geist und klärte seinen Blick.
Hoffnung.
Sie hatte ihn aufgefordert zu überleben.
Bei diesem Gedanken endete die Beerdigung des Waldes. Er starb. Der Wind legte sich. Der letzte Rest von Licht verschwand. Die Luft wurde eiskalt. Und mit einem knackenden Geräusch gefror der Bach.
Er blickte hinein. Augen, die nicht die seinen waren, nie die seinen gewesen waren, erwiderten seinen Blick. Sie verdrehten sich, blickten den Fluss herunter, und er folgte ihrem Blick. Das Eis glitt auf knisternden Füßen über das Wasser, verschwand in der Tiefe des toten Waldes.
»Es will, dass ich ihm folge«, sagte er.
»Das will es«, antwortete die Stimme. »Es wird dir nicht gefallen, was du findest.«
»Das weiß ich.«
Dennoch stand er auf und folgte dem Eis, ging tiefer in den Wald hinein, in dem nichts lebte.
Denn in dem Wald, in dem nichts lebte, rief etwas nach ihm.
Die Flasche hatte kein Etikett, keine Identität: Sie war ein bernsteinfarbener Fremder, der in einer Gasse aus trübem Glas stand, in der abgestandenes, widerliches Gift verkauft wurde, ohne Qualität oder Überleben zu garantieren.
Denaos setzte die Flasche an und kippte sie, legte den Kopf in den Nacken, goss diesen namenlosen Schnaps in sich hinein, als wäre es Wasser. Sein Magen protestierte nicht mehr, hatte sich an diese plötzlichen Übergriffe längst gewöhnt. Sein Verstand registrierte den neuen Rausch kaum noch, war schon viel zu sehr abgestumpft.
Seine Augen waren trübe von Schlaflosigkeit und Trunk, während er von dem umgestürzten Baumstamm, auf dem er saß, über die kleine Lichtung starrte. Er kniff die Augen zusammen, versuchte die Bäume zu erkennen, die Blätter, den Wald, und nur den Wald.
Es nützte nichts.
Sie war immer noch da.
Starrte ihn an.
Lächelte ihn an.
Kaum vorzustellen, sagte er sich, dass ich einmal so gut darin gewesen bin.
Nach vielen Jahren endloser Meditation, endloser Gebete und endlosem Schnaps hatte er endlich aufgehört, sie zu sehen. Möglicherweise hatte er bemerkt, wie sie am Rand seines
Blickfeldes noch um eine Ecke lugte; hatte in einem blinzelnden Moment unruhigen Halbschlafs ihr weißes Hemd flattern sehen; manchmal spürte er auf dem Hinterkopf ihre Blicke. Aber das waren nur kurze Visionen gewesen, flüchtige Nadelstiche auf seiner Haut, die nur in den Momenten existierten, in denen er sie fühlte.
Diese Vision jedoch...
Sie war mehr wie ein Messer.
Ein Messer, das tief in seine Haut eindrang.
Sich darin drehte.
Er hatte den Versuch aufgegeben, sie zu ignorieren; an diesem Punkt kam es ihm einfach unhöflich vor. Es war klar, dass sie nicht weggehen würde. Sie würde nicht aufhören, ihn anzustarren, ganz gleich, wie viel er trank, weinte oder schrie.
Also starrte er auf die klaffende Wunde in ihrem aufgeschlitzten Hals, auf das Blut, das endlos über ihre weiße Haut lief, und versuchte zu verstehen.
Wahrscheinlich ist es eine
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