Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Sykes
Vom Netzwerk:
jede etwa eine halbe Seite ergeben würde, eine ganze Seite Merroskrit, wenn sie zusammengenäht waren. Er betrachtete seine Hände und bestätigte seine Schätzung.
    Und dann weinte er.
     
    Lenks erste Erinnerung an diesen Wald war silbern gewesen.
    In dieser Nacht vor langer Zeit, als sein Körper noch von Schmerzen geschüttelt und sein Hirn von Fieber versengt wurde, war der Wald etwas Lebendes gewesen, etwas voller Licht und Leben. Die Blätter hatten im Mondlicht geglüht, als wären sie in Silber getaucht worden. Das Vogelgezwitscher und das Keckern der Tiere hatten zwischen den Bäumen gehallt, und jeder Zweig hatte wie ein Glockenspiel die Geräusche verstärkt und sie in seinen Ohren erklingen lassen.
    In jener Nacht vor einer Woche hatte er kaum noch einen Tropfen Leben in sich gehabt, während der Rest seines Körpers von Schmerz und Verzweiflung erfüllt war. In jener Nacht hatte er sich jedes Mal, nachdem er gefallen war, kaum noch aufrichten können. In jener Nacht hatte er darum gekämpft, sich festzuhalten, am Leben, am Licht, an irgendetwas.
    Heute stand er stolz da. Trotz der frischen Nähte in seiner Schulter spürte er kaum Schmerzen. Trotz der Nacht zuvor fand er seinen Körper leicht, ohne Mühe getragen von Beinen, die schwächer hätten sein sollen. Doch trotz allem fand er nichts, woran er sich hätte festhalten können.
    Und in der gnadenlosen Helligkeit des Vormittags war der Wald ein Grabmal.
    Traurige Bäume versammelten sich, um ein Leichentuch über den Waldboden zu werfen, jeder Zweig und jedes Blatt versuchten nach Kräften, jede Spur von Licht davon abzuhalten, diese perfekte Dunkelheit zu entweihen. Das Leben war verschwunden, der Wald so stumm, als wollte er vorgeben,
nie da gewesen zu sein. Das einzige Geräusch, das Lenk vernahm, war der Wind, der wortlose Trauerlieder in den Blättern sang.
    War das Leben eine Halluzination gewesen?
    Aber es war keine feindselige Finsternis, die den Wald verzehrte, sondern eine heilige. Sie bedrohte ihn nicht mit ihren Schatten, sondern sie lud ihn ein. Sie flüsterte zwischen den Zweigen, merkte an, wie müde er aussah, wie schrecklich es war, dass seine Freunde ihn im Stich gelassen hatten, dass er hier ganz allein wanderte, und dachten laut darüber nach, wie nett es wäre, wenn er sich hinsetzen und ausruhen würde, eine Weile, für immer.
    Er war geneigt, der Prozession der Bäume zuzustimmen. Vor einer Woche, als der Wald noch von Leben gewimmelt hatte, hatte er aus Leibeskräften gekämpft, den Lebensfunken in sich anzufachen, noch ein bisschen länger zu überleben. Jetzt, wo er relativ gesund und ohne jede Krankheit dastand, hatte er das Gefühl, als müsste er zusammenbrechen und sich von dem dunklen Leichentuch niederdrücken lassen.
    Was hat sich verändert?
    »Hauptsächlich die Gründe.«
    Er nickte. Die Stimme klang hier klarer. Vielleicht wegen der Stille, vielleicht aber auch, weil er nicht mehr dagegen ankämpfte. Vielleicht, weil er mittlerweile den Wert ihrer kalten Worte zu schätzen wusste.
    »Sprich weiter.«
    »Bedenke deine Motive damals und jetzt. Damals hast du dich an den Glauben geklammert; eine starke Kraft, zugegeben, aber letzten Endes ohne Substanz. Du hast dir verzweifelt gewünscht, glauben zu können, dass deine Gefährten noch am Leben waren.«
    »Und sie waren es. Das hat mich am Leben erhalten.
    »Wir haben dich am Leben erhalten«, verbesserte ihn die Stimme, ohne ihn zu tadeln. »Unsere Entschlossenheit, unser Wille, unser Wissen, dass die Pflicht erfüllt werden musste. Das alles kam nicht von irgendjemand anderem.«
    »Doch es war der Gedanke an sie alle, der...«
    »Es war der Gedanke an die eine.«
    Vielleicht, räumte Lenk ein. Vielleicht hatte es hier tatsächlich nie Leben gegeben. Vielleicht war es immer tot und düster gewesen. Die andere Stimme, Ulbecetonths Stimme, war schon damals da gewesen, das war ihm jetzt klar. Sie war das Fieber in seinem Verstand, die Halluzination vor seinen Augen, der Wille, sich zu unterwerfen, der ihn durchdrungen hatte.
    Und sie hatte ihn geheißen, die Wahrheit zu suchen, dem Eis zu folgen.
    Der Fluss, der durch den Wald strömte, schien im Großen und Ganzen unverändert zu sein; sein Rauschen war aus Respekt vor der Dunkelheit zu einem gedämpften Murmeln herabgesunken. Lenk kniete sich hin und blickte in das Wasser, sah die leeren Augen, die seinen Blick erwiderten.
    »Sie könnte gelogen haben.«
    »Möglich.«
    »Sie hat immerhin meine Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher