Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
löste. Dann stieß er sie mit einer Wut, die normalerweise für einen Kampf reserviert sein sollte; er hämmerte seine Fäuste gegen sie und schleuderte sie zurück. Die eiserne Entschlossenheit sickerte aus ihr heraus, während eine Welle bleierner Schwäche sie durchflutete und sie mit lautem Krachen auf dem Boden landete.
Sie erwiderte seinen Blick, einen Blick, mit dem er für gewöhnlich nicht seine Gefährten bedachte.
»Ich weiß nicht, was mit dir auf diesem Schiff passiert ist, bevor ich in die Kabine gekommen bin«, flüsterte er. »Ich weiß nicht einmal genau, was danach geschehen ist. Aber ganz gleich, was es auch war, das hier willst du nicht.«
»Doch«, sie zog sich auf die Knie hoch. »Es ist meine Entscheidung. Meine ganz allein.«
»Nicht, wenn du so weitermachst.«
»Du bist ein Bandit«, flüsterte sie verächtlich. »Was kümmert es dich, woher du es bekommst? Du glaubst, ich könnte es nicht besser? Ich bin schließlich diejenige, die das hier angefangen hat.«
»Und du willst es?«
»Es... es spielt keine Rolle.« Sie schüttelte sich. »Ich brauche das. Ich muss wissen, ob ich noch... ob es immer noch meine...«
»Nicht so.« Er kehrte ihr den Rücken zu. »Nicht mit mir.«
Sie sah ihm nach, als er davonging, mit gesenkten Schultern, als läge ein Gewicht auf ihm, das seine Schritte schwerer machte. Sie flüsterte ihm etwas nach, atemlos, schleppend.
»Ich habe so viel durchgemacht...« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe so viel gegeben. Und jedes Mal, wenn ich um einen Segen bitte, wenn ich versuche, mir eine Gunst erweisen zu lassen, wird sie mir verweigert.« Ihr feuriger Blick bohrte sich in sein Rückgrat. »Ich hatte zumindest damit
gerechnet, dass ich mich darauf verlassen könnte, dass du tust, was du immer tust. Aber ich hätte bedenken müssen, dass du mich immer auf jede nur denkbare Art und Weise enttäuschst, denn das ist es, was du immer tust. Du bist erbärmlich.«
»Damit zumindest kann ich leben.« Er ging weiter, ohne innezuhalten.
»Ich hasse dich.«
»Damit auch.«
Er verschwand im Wald. Und sie blieb allein zurück. Sie weinte nicht.
Wer hätte es auch gehört?
Der Fluss verlief weiter durch den Wald, wie Lenk feststellte, und seine eisige, flüsternde Stimme begleitete ihn. Sie murmelte zwischen den Bäumen, wimmerte unter felsigen Rinnsalen, rauschte über harten Boden, wurde leiser in den Untiefen, lauter, wenn der Fluss wieder tiefer wurde. Lenk folgte alldem, lauschte darauf.
Wahrscheinlich war es ein schlechtes Zeichen, dass er begann, das Flüstern zu verstehen.
Es war nie lang genug, um einen ganzen Satz zu bilden, manchmal nicht einmal ein vollständiges Wort; der Fluss gefror dort, wo er ihn begleitete, seine Strömungen und Strudel wurden zischendes, knisterndes Eis, jedes Mal, wenn er seinen Blick darauf richtete. Aber als sein eigener Atem leiser wurde und das Wasser so flach war, dass es fast ohne jedes Geräusch gefror, hörte er es.
Es waren alte Worte, fremde oder schlicht unverständliche Worte. Er konnte sie jedenfalls nicht wirklich verstehen, aber er begriff die Nachricht dahinter. Es waren keine fröhlichen Worte, gesprochen von einer angenehmen Stimme. Sie wurden hervorgestoßen, verkündet und ausgespien, enthielten Nachrichten des Hasses, der Vergeltung, der Pflicht.
Und des Verrats.
Immer ging es um Verrat.
Jedes zweite Wort schien diesen zornigen, kochenden Hass in sich zu bergen, der aus Verrat entstand. Er stieg in dem Dampf auf, hämmerte mit seiner Stimme auf das Eis, während die Worte gnädigerweise unter den kalten Platten gedämpft wurden.
Und wahrscheinlich war es ein noch schlechteres Zeichen, dass ihm die Stimme bekannt vorkam.
»Ich erinnere mich daran«, flüsterte er. »Sie kam aus dem Wald, in meiner ersten Nacht hier. Sie sprach auch da von Verrat.«
»Diese Insel ist ein Grabmal«, antwortete die Stimme. »Die Toten haben sie mit all ihrem Hass und ihrer Trauer durchtränkt. Die meisten haben Jahrhunderte Zeit gehabt, sich von der Erde aufsaugen zu lassen und sie mit ihren Gefühlen zu verseuchen. Aber es gibt Hass, für den selbst das nicht annähernd lange genug ist.«
»Sie klingen so vertraut, als hätte ich sie schon einmal gehört.«
»Einer von uns hat das auch.«
Lenk runzelte die Stirn, stellte der Stimme jedoch keine Fragen mehr. Stattdessen ging er weiter durch den Wald, folgte dem verschlungenen Fluss und seiner wütenden Stimme. Er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt zu
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