Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

hervorquellende Augen und kein offensichtlich erkennbares Ziel. Sie kroch über die Knochen hinweg, über die blutgetränkte Erde, über die am Boden liegenden verrosteten Waffen, die Augen immer nach vorne gerichtet, mit starrem Blick und niemals erlahmenden Beinen.
    Ganz gewiss weiß etwas so Winziges nicht, wohin es geht, überlegte Sheraptus. Konnte es überhaupt die Größe der Welt um es herum begreifen? Die Größe der vielen Welten jenseits des nassen Sandes? Vielleicht würde es ewig so weiterlaufen, nichts wissend, nie anhaltend.
    Es sei denn, dachte Sheraptus, während er seinen Fuß über die Kreatur hob, es würde gewahr, wie klein es tatsächlich ist.
    In dem Moment bemerkte er es: eine Veränderung des Windes, ein Schwanken der Temperatur. Er drehte sich herum und richtete seinen Blick in die Ferne.
    »Da ist es wieder«, murmelte er.
    »Hm?«, brummte sein Begleiter.
    »Du spürst es nicht?«
    »Magie?«
    »Nethra, ja.«
    »Ich bin bedauerlicherweise auf Höheres eingestimmt.«
    »Das sagst du«, erwiderte Sheraptus.
    »Du hast keinen Grund, mir zu misstrauen, oder?«
    »Eigentlich nicht, nein.« Er verzog verächtlich die Lippen. »Was mich nur wenig tröstet.«
    »Was bekümmert dich, wenn ich fragen darf?«
    »Du darfst, danke. Eine Signatur, ein flüchtiges Auftreten von Stärke. Ich würde es nicht heftig nennen, sondern eher ... ausgeprägt. Wie eine Motte, die vor einer Flamme flattert und verschwindet, bevor ich sie ergreifen kann.«
    »Eine Motte?«
    »Ja. Sie flattern doch vor Flammen hin und her, oder tun sie das nicht?«
    »Sie tun es.« Der Graue Grinser lächelte und entblößte dabei fingerlange Zähne. »Dich scheinen heute sämtliche Insekten zu faszinieren.«
    »Ah. Aber sagtest nicht du, dass dieses Ding dort...« Er deutete beiläufig auf das Insekt im Sand.
    »Eine Krabbe.«
    »Diese Krabbe. Es ist kein Insekt?«
    »Ist es nicht.«
    »Es hat einen Panzer, viele Beine ...«
    »Das hat es.«
    »Warum ist es dann kein Insekt?«
    »Über ihre Identität bestimmt sie selbst, nehme ich an.«
    Sheraptus richtete seinen Blick auf die winzige Krabbe auf dem Sand. »Warum existiert es?«
    »Hmm?«
    »Ein winziges Ding, das sich in dieselbe bedeutungslose Richtung bewegt wie andere winzige Dinge, das genauso aussieht wie andere winzige Dinge, aber nicht dasselbe winzige Ding ist wie die anderen?« Er hob eine Braue. »Ich habe so ein Ding noch nie gesehen.«
    »So etwas gibt es im Nieder nicht?«
    »Nein. Frauen sind Frauen. Männer sind Männer. Frauen töten. Männer sprechen mit Nethra. So verhalten sich die Dinge.« Er seufzte und verdrehte die Augen. »Das macht sie so ... langweilig.«
    »Deshalb also unsere Abmachung.«
    »Natürlich.« Sheraptus rückte die Krone auf seinem Kopf zurecht und spürte, wie die roten Steine bei seiner Berührung brannten. »Und obwohl ich für deine Gaben nicht undankbar erscheinen möchte, hege ich gewisse Bedenken.«
    »Als da wären?«
    »Diese Welt... ich habe Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Das Nieder ist langweilig, selbstverständlich, aber es ist logisch. Es ergibt einen Sinn. Dies hier jedoch...«
    »Was ist damit?«
    »Ich glaube, ich bin vor allem darüber besorgt, dass jeder offenbar beschlossen hat zu tun, was er will.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Angeblich ist dies hier eine Insel des Todes, richtig?«
    »Der Krieg zwischen Ulbecetonths Brut und dem Haus der Bezwingenden Trinität hat das Land zerstört. Der Makel des Todes selbst ist in die Erde eingedrungen. Hier wächst nichts Reines. Und hier lebt auch nichts Reines.«
    »Mir ist, als sagtest du ursprünglich, dass hier gar nichts lebt.«
    »Sagte ich das?« Der Graue Grinser lächelte. »Das erschien mir in jenem Moment dramatischer, besser geeignet, dein Interesse zu wecken. Verzeih mir diese kleine Täuschung.«
    »Aber bitte, denk dir nichts dabei. Mein Interesse ist ganz gewiss geweckt. Aber wie wir sehen, leben hier Dinge.« Er ließ seinen Blick über den Strand schweifen. »Oder sie taten es zumindest.«
    Die Erde ein Stück vor ihnen war noch stärker vom Tod durchtränkt als selbst das fürchterliche Schlachtfeld am Strand. Die Erde war rußig, versengt und brannte an manchen Stellen noch. Auf dieser verbrannten Erde fanden sich Formen, die aus zwei Armen und zwei Beinen bestanden, deren Körper jedoch in Asche verwandelt waren, die bei jedem verirrten Windstoß aufwirbelte. Sie waren kaum noch von der schwarzen Erde zu unterscheiden, geschweige denn als
diese Grünen