Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
vollkommen erstarrt, spürte kaum, wie sich die Erde unter ihm bewegte. Doch noch während sein
Blickfeld sich immer mehr verdunkelte, bemerkte er die behandschuhten Hände, die seine Schultern packten, ihn wegschleppten. Er starrte in Denaos Gesicht und raffte genug Willenskraft für einen letzten Gedanken zusammen.
Du dummes Arschloch.
Fünfhundertneunundvierzig Exemplare dieser Krankheit auf zwei Beinen, dachte er, während er auf die winzige Hafenstadt herunterstarrte, die in das Licht der untergehenden Sonne getaucht war.
Zweihundertsechzig davon waren in der Lage, eine Waffe zu halten, während fünfhundertzwanzig Augen davon kündeten, dass sie nicht wussten, wie.
Einhundertdrei von ihnen trugen stattdessen Harpunen und Netze und ließen ihre Aggressionen an einem Ozean aus, der viel zu nachsichtig mit ihnen war.
Sechsundneunzig von ihnen waren entweder krank, indisponiert oder litten unter der Täuschung, dass ihre Probleme eine Entschuldigung dafür wären, andere kämpfen zu lassen.
Blieben neunzig, säuberlich aufgeteilt in Besucher in kurzen Booten, die glaubten, die funkelnden Metallstücke, die sie für ihren Fisch und ihr Getreide eintauschten, wären es wert, andere Völker unter ihren Booten zu zermalmen, und Kinder ...
Die Kinder ...
Naxiaw kratzte sich das Kinn und fühlte dabei die primitive Tätowierung, die sich von seiner Unterlippe bis über seinen Schädel erstreckte.
Kinder. Fünfundvierzig kleine zukünftige Wehklagen. Fünfundvierzig Objekte der Trauer in spe, auf dürren, haarlosen
einen. Er verengte die Augen und biss hinter seinen dünnen Lippen die Zähne zusammen. Fünfundvierzig zukünftige Mörder, Schlächter, Brandschatzer und Schänder.
Er hatte sie gezählt.
Sie alle sind Seuchen.
Naxiaw prägte sich genau ein, wo sie standen, welche Waffen sie trugen und wer von ihnen sich in Pfützen seines eigenen Urins kauern würde, wenn er die anderen durch die Straßen führte. Mit schwarzer Farbe fertigte er auf einem Fetzen gegerbten Leders mit einem Finger eine Skizze der Stadt an, wie er sie von seinem Beobachtungsposten hoch oben auf der Klippe sah. Sein sechszehiger Fuß baumelte über den Rand der Klippe, während er mit sorgloser Lässigkeit mit jedem Strich der Farbe einen Tod plante.
Port Yonder, wie die Menschen die Stadt nannten, gründete sich auf Verachtung.
Sie war eine Demonstration von steinernen Wällen und geschlagenem Holz dafür, dass die kou’ru sich schneller vermehrten, als sie Platz fanden. Sie war der Beweis, dass es niemals genug Fleisch oder Fisch gab, um ihre Gier zu befriedigen. Es war die Bestätigung ihrer Verachtung für das Land, das sie für die Wände von Häusern, hinter denen sie sich duckten, hinter denen sie schmutzige kleine Kinder aufzogen, schändeten und vernichteten.
Kinder, das wusste er, die aufwachsen und noch mehr Land beanspruchen würden, um diese Seuche weiter zu verbreiten.
Dies war eine Stadt, die zweifelsfrei bewies, welche Bedrohung die Menschheit darstellte.
Er griff hinter sich und strich mit seinen Fingern über den langen schwarzen Zopf, der von seinem ansonsten haarlosen Schädel herunterhing. Dabei berührte er die vier schwarzen Federn, die er in den Zopf geflochten hatte. Er hatte sie sich an dem Tag verdient, als er bewies, dass jede Bedrohung, ganz gleich, wie unaufhaltsam sie auch scheinen mochte, getötet werden konnte.
Die Zeit für Rache würde später kommen; jetzt jedoch verachtete er sie einfach nur.
Er saß ganz offen da; Verstohlenheit und Tarnung erachtete er schon lange als unnötig. Die Menschen hatten ihn während der ganzen Woche, die er jetzt dort war, nicht entdeckt und würden es auch jetzt nicht tun. Denn dafür hätten sie hochsehen müssen.
Um ihn zu entdecken, hätte nur einer von ihnen den Blick heben müssen, seine blassgrüne Haut sehen und die Augen zusammenkneifen müssen, bis er die langen, spitzen Ohren mit den sechs Furchen erkannte, die in jede Muschel geritzt waren. Das hätte genügt, dass er seine Augen aufgerissen und laut »Shict!« geschrien hätte. Im nächsten Moment hätten sie sich alle auf ihn gestürzt; sie hätten ihn getötet, seine Karte gefunden, begriffen, dass noch mehr wie er kommen würden, hätten ihre Streitkräfte gesammelt und die Nachricht an ihre vielen Vasallen und Reiche weitergegeben.
Dann wäre Intish Kir Maa, Viele Rote Ernten, zum Scheitern verdammt gewesen, wären all die langen Jahre umsichtiger Planung vergeblich gewesen, die es
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