Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
großen, leeren weißen Augen anstarrte; sein Kiefer hing schlaff nach unten.
»Abysmyth ...«, keuchte Lenk.
Die Kreatur schien ihn nicht zu erkennen, zeigte überhaupt keine Reaktion in ihrem Blick. Ihr Körper, dieser riesige, unterernährte Wanst aus schwarzer Haut, die sich straff über schwarze Knochen spannte, hätte längst reagieren müssen, das wusste Lenk. Die langen, mit Schwimmhäuten bestückten Klauen sollten längst fest seinen Hals umklammern und die tödliche Flüssigkeit absondern, die ihn umbringen würde.
»Guten Tag auch«, fauchte Lenk.
Das Abysmyth tat gar nichts. Stattdessen legte es seinen riesigen Fischkopf auf die Seite und stellte eine Frage.
»Gewalt hat nicht funktioniert, stimmt’s?«
»Wir haben es noch nicht ausprobiert!«
Die Kreatur machte keinen Versuch, sich zu verteidigen, als Lenk wie eine überspannte Feder explodierte und sich auf die Monstrosität stürzte. Mein Schwert kann sie verletzen, sagte er sich. Das habe ich schon erlebt. Zumindest jedoch soff sein Schwert das Blut des Dämons, als er auf ihn einschlug. Sein Fleisch flog in großen, zerhackten Streifen durch die Luft, und sein Blut fiel in dicken, fetten Klumpen herunter.
»Ist die Vergeblichkeit dieses Tuns nicht niederschmetternd?« , erkundigte sich die Kreatur. Ihre Stimme rumpelte gurgelnd in ihrem Brustkorb. »Du schreist, du kreischst, du kämpfst... als wenn du alle Kümmernisse und Qualen, die dich und deine Welt umtreiben, mit Stahl und Hass kurieren könntest.«
»Jedenfalls löst das für gewöhnlich die meisten Probleme.« Lenks Gesicht war von Blutspritzern übersät. »Und es hat das Problem deines Anführers gelöst, weißt du?« Er grinste
breit, fast manisch. »Ich habe sie umgebracht... vielmehr es. Ich habe ihm einen Kopf genommen. Ich habe einen deiner Brüder getötet.«
»Ich nehme an, ich sollte jetzt beeindruckt sein.«
»Bist du es nicht?«
»Nicht so recht, nein. Machtwort hat drei Köpfe. Du hast aber nur einen abgeschlagen.«
»Aber ...«
»Du hast ein Abysmyth getötet. Hm. Gibt es nicht noch mehr?«
»Dann werde ich mir die beiden anderen Köpfe auch noch holen! Und sämtliche von euch Monstrositäten töten!«
»Zu welchem Nutzen? Es wird immer mehr geben. Töte eines, dann steigen mehr aus der Tiefe empor. Töte Machtwort, dann wird ein anderer Prophet gefunden.«
»Die töte ich ebenfalls!« Lenks wütendes Knurren wurde von einem dumpfen Knall begleitet, mit dem sich sein Schwert in die Brust der Bestie grub und dort stecken blieb, so sehr er sich auch bemühte, es herauszuzerren. »SIE ALLE! EUCH ALLE!«
»Und was dann? Du wischst uns vom Antlitz der Erde, füllst deine Ohren mit Blut und blendest dich mit Stahl. Dann wirst du jemand anderen suchen, den du hassen kannst. Es wird nie genug Blut, nie genug Stahl geben, und du wirst weiterleben und dich fragen ...«
»Was werde ich mich fragen?«
»Du wirst dich fragen, warum. Du wirst dich fragen, welchen Sinn das alles hat.« Die Kreatur gurgelte. »Oder aber, mehr auf dein spezielles Problem bezogen, du wirst nie aufhören, dich zu fragen, warum sie nicht so empfindet, wie du es tust ... Du wirst nie verstehen, warum Kataria das gesagt hat, was sie gesagt hat.«
Lenk ließ sein Schwert los, und seine Hände fühlten sich schwach und taub an, als er von der Kreatur zurücktrat. Er hatte die Augen so weit aufgerissen, dass sie aus ihren Höhlen zu fallen drohten. Das Abysmyth schien ihn mit seinen
weißen Augen und dem klaffenden Maul auszulachen, wenn es denn zu so einer Regung fähig gewesen wäre.
»Wie?«, keuchte er. »Woher weißt du das?«
»Das ist eine gute Frage.«
Das Abysmyth grinste strahlend.
Abysmyths können nicht grinsen.
»Eine bessere Frage jedoch scheint mir die nach dem Grund zu sein«, gurgelte es, »aus dem du einen Baum angreifst.«
»Nein ...«
Doch Worte konnten die Tatsache nicht leugnen, ebenso wenig wie das Schwert, das in dem moosigen Fleisch des Baumes steckte und zitterte. Der Baum starrte ihn mitleidig an; sein hölzerner Kummer war in seinen Augen deutlich zu erkennen.
Bäume haben keine Augen. Das wusste er genau. Bäume empfinden auch kein Mitleid! Und vor allem reden Bäume nicht!
»Ganz ruhig.« Er atmete angestrengt; die Luft brannte in seiner Kehle und schien seine Lunge in seiner Brust zu versengen. »Ganz ruhig ... es spricht niemand. Es gibt hier nur dich und den Wald. Bäume reden nicht ... Affen reden auch nicht ... Leute reden. Du bist eine Leut...
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