Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
Finger, ein Ellbogengelenk. Haut. Klauen.
Es war alles, was von dem Shen übrig geblieben war, denn sein restlicher Körper lag unter den Trümmern begraben. Seine Krallen gruben sich bei dem Versuch, sich zu befreien, in den Stein, bis sie brachen, bis die Haut seiner Finger zerfetzt wurde.
Die Leere in Gariaths Kopf füllte sich allmählich mit den Schreien, dem Blut und der Explosion, den zuckenden Gliedmaßen und der Statue, die durch die Luft geflogen war, mit dem allgegenwärtigen Gestank nach Tod, der von Vorhängen aus Staub emporgetragen wurde. Sie wirkten wie der resignierte Seufzer der Erde, die wahrhaftig mehr als genug Blut gekostet hatte.
Blut und zermalmte Körper, feuchtes rosa Gewebe, das aus Mündern und Nasen gedrungen war, bedeckte die Steine. Das war übrig geblieben von den Shen. Sonst nichts.
Aber wo waren die anderen? Wo waren die Menschen? Der Kleine hatte doch gerade noch hier gestanden, oder? Lag er irgendwo unter den Trümmern der Statue? War er einer der Schatten, die umherhuschten und im Staub schrien?
War er vielleicht das da? Der pechschwarze Umriss, der näher kam? Er beugte sich vor und spähte in den Staub.
Die scharfe Spitze eines Speeres zuckte lautlos aus der Wolke hervor, grub sich in die Muskeln seiner Flanke und biss mit ihren eisernen Zähnen zu. Gariaths Brüllen ging im Staub unter. Er packte den Schaft mit beiden Klauen.
Die Kriegerin tauchte aus der Sandwolke auf. Sie hatte kein Gesicht, keine Augen, war vollkommen ungerührt vom Staub und der Qual. Gariath sah das Spiegelbild seiner verzerrten Grimasse in dem schimmernden Helm der Niederling, als sie näher kam und den Speer in der Wunde drehte. Er spürte, wie die Spitze an ihm nagte, von einem Hass und einer Wut erfüllt war, die der gesichtslose, starre Blick der Niederling nicht auszudrücken vermochte.
Das wäre ein guter Tod gewesen, schoss es Gariath kurz durch den Kopf. Am Ende eines langen Kampfes durch einen würdigen Gegner. Jedenfalls wäre es das gewesen, wenn er bereit gewesen wäre zu sterben.
Aber der richtige Moment war verstrichen. Er sah keinen Grund, Säumige zu belohnen.
Er schlug zu, und seine Faust landete auf dem Kinn der Frau. Metall klapperte. Ihr Griff um den Speer lockerte sich genug, dass er mit der Faust auf den Schaft schlagen konnte und ihn in zwei Stücke zerbrach. Er riss ihr den zersplitterten Rest mit einer Hand weg und hämmerte gleichzeitig die Handwurzel der anderen Hand gegen ihr Kinn. Ihr Kopf ruckte zurück, als sie mit Faust und Schild zuschlug; ihr Genick bog sich so weit nach hinten, dass es jeden Moment zu brechen drohte.
Auch der Tod durch ihren scharfen Schild wäre ein guter Tod gewesen. Und zudem ziemlich blutig. Aber wie gesagt, wer zu spät kommt …
Er wirbelte den zersplitterten Schaft durch die Luft, packte das glatte Ende und stieß mit dem abgebrochenen Stück zu. Er rammte es in ihre entblößte purpurne Gurgel, mit solcher Wucht, dass es an ihrem Nacken wieder austrat. Sie blutete, stolperte, brach zusammen und verschwand im Staub und in den Sandwolken.
Zu viel Staub, dachte Gariath. Zu viel Sand. Es war nicht natürlich, dass Sand so lästig war, dass er in der Luft schwebte wie ein Schwarm von Insekten. In dieser besonderen Situation gab es einen ganzen Haufen von Problemen, von denen das größte die Speerspitze in seiner Flanke war. Er griff danach, um sie herauszureißen, und holte Luft für den Schrei, der dem folgen würde.
Warte. Er zwang sich innezuhalten. Du ziehst ihn heraus, dann spritzt das Blut, und du bist in wenigen Atemzügen tot. Das hat doch dieser Mensch gesagt, stimmt’s? Es klingt jedenfalls richtig. Einen großen Keil aus Metall in deiner Haut stecken zu lassen, klingt ebenfalls richtig …
Er blinzelte. Nichts von dem, was er gerade gedacht hatte, war auch nur im Entferntesten logisch. Er musste hier weg. Er musste unbedingt nach oben, sich einen Überblick verschaffen.
Er arbeitete sich mit seinen Krallen den zertrümmerten steinernen Körper der Statue hinauf, kletterte über ihre Hand, rutschte auf einer Blutlache aus und versuchte das Gefühl zu ignorieren, dass er die Schreie der Unseligen in seinen Handflächen spüren konnte. Schließlich erreichte er den oberen Rand der Statue.
Er stand nicht allein hier oben.
»Rhega.« Shalake drehte sich nicht herum. Sein Blick war auf das Sandfeld gerichtet. Seine Keule hing schlaff in seinen Händen. »Du lebst.«
»Shalake«, knurrte Gariath. »Bist du …?«
»Nein,
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