Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
meinen Onkel. Menschen töteten meine Frau.« Er fuhr mit der Hand durch die Luft. »Meinen Sohn auch. Spielt keine Rolle. Alle Stammesmänner sterben. Sie gingen in den Dunklen Forst, und ich kämpfte weiter. Natürlich verloren wir. Es ist unmöglich, gegen Menschen zu kämpfen und zu gewinnen … Jedenfalls war es das.
Die Träume … sie hörten nicht auf.« Er kratzte seinen kahlen Schädel. »Ich träumte immer noch und verstand nicht, was ich träumte. Vielleicht habe ich auf diese Weise versucht, alles zu begreifen und eine Antwort zu bekommen. Die Träume hielten eine ganze Weile an.«
Seine Ohren zuckten. Er hob die Hand und fuhr mit seinem langen Finger über die langen Muscheln, zählte jede einzelne der sechs Kerben darin ab, als wollte er sich vergewissern, dass sie immer noch dort waren.
»Als ich endlich erfuhr, warum wir kämpften, hörten die Träume endlich auf.
Ich habe einen von ihnen gefunden. Ich könnte dir nicht sagen, zu welcher Nation er gehörte oder welchen Gott er anbetete. Die Menschen sehen für mich alle gleich aus. Aber ich fand einen, und ich war allein. Ich nehme an, es wäre klüger gewesen, auf die anderen zu warten.
Aber ich war hungrig. Und ich hörte es …« Er tippte sich an die Schläfe. »Genau hier. Ich wollte ihm wehtun. Also tat ich es. Wir kämpften eine Weile. Schließlich schlug ich ihm meinen Stock gegen den Kopf, und er versetzte mir mit seinem scharfen Schwert eine Schnittwunde am Oberschenkel. Als wir unsere Waffen verloren hatten, kämpften wir mit Fäusten und Zähnen weiter.
Ich weiß nicht, wann ich endlich auf ihm lag oder wann ich seine Kehle mit meinen Händen gefunden hatte. Alles ging so schnell, passierte, ohne dass ich mir dessen bewusst war. Eben noch spürten meine Finger das Haar auf seinem Hinterkopf. Im nächsten Augenblick fanden meine Daumen den harten Klumpen in seiner Kehle. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wann ich begann zuzudrücken.
Ich fragte mich, ob er den Menschen kannte, der meine Frau getötet hatte. Vielleicht kannte er ihn. Aber es war unwahrscheinlich. Es gibt so viele Menschen. Aber nun gab es einen weniger von ihnen. Und deshalb gab es einen mehr von uns.«
Naxiaw hob den Kopf und blickte zu der jungen Frau, die mit gekreuzten Beinen am Rand der Lichtung saß. Sie betrachtete ihn aufmerksam. In ihren grünen Augen lag keine Furcht mehr, und auch ihr hagerer, bleicher Körper schien nicht mehr angespannt zu sein. Ihre Ohren waren aufgerichtet und zuckten aufmerksam.
»Und da wusste ich, was es bedeutete, ein Shict zu sein.«
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Als sie sprach, hörte er ihr nicht zu; sie konnte zu gut mit Worten umgehen, eine Eigenschaft, die sie viel zu oft benutzte. Seine Ohren zuckten, als er auf ihre andere Stimme hörte.
Sie verstand sich noch darauf, durch das Heulen zu sprechen, durch die wortlose Sprache ihres Volks. Aber sie redete damit wie ein Kind. Die Stimme ihres Verstandes und Körpers, Geist und Zorn, war jedoch höchst sprunghaft: Im einen Moment schnarrte sie, im nächsten fauchte sie, wimmerte, weinte und brüllte.
Sie versuchte, ihre Stimme hinter Worten zu verbergen. Sie versuchte mit Fragen davon abzulenken, die sie für klug hielt. Aber er konnte ihr Heulen hören. So gerade eben noch.
Er erwiderte nichts auf ihre gesprochenen Worte. Er blieb stumm, als sie sich von der Erde erhob und eine Entschuldigung äußerte, die einem Rundohr vielleicht etwas bedeutet hätte. Er starrte sie an, als sie kurz winkte, sich dann ungelenk verbeugte, als hätte das etwas zu sagen, sich umdrehte und aus dem Wald lief.
Das Heulen blieb hinter ihr zurück, kreischte und weinte noch lange, nachdem sie verschwunden war. Sie hatte Angst, sie war verwirrt, sie war kaum noch eine Shict.
Dennoch …
»Du wirkst überrascht«, antwortete eine Stimme auf seine Gedanken. Sie kam aus den Büschen hinter ihm.
»Ich bin nicht überrascht«, erwiderte er, ohne sich umzusehen.
»Was dann?« Das war eine andere Stimme, tiefer und dunkler.
Er hatte sie gebeten, sich zu verbergen. Ihre Gegenwart hätte sie nur noch mehr verängstigt. Sie war nicht bereit, sich einem Volk anzuschließen, von dem sie nicht genau wusste, ob sie dazugehörte.
Das wird sich noch ändern.
»Davon bin ich nicht überzeugt, Naxiaw.« Inqalle tauchte aus dem Unterholz auf. »Sie ist schon ziemlich lange mit Menschen zusammen. Du bist doch ebenfalls der Meinung, dass die kou’ru sie infiziert haben.«
»Krankheiten
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