Die Tortenbäckerin
und fragte, ob sie etwas trinken wollten. »Leider habe ich nur Wasser. Meine Weinvorräte sind aufgebraucht.«
»Wasser ist in Ordnung«, erwiderte Siggo und sah sich um. Die Stube mit ihren Biedermeiermöbeln war noch immer so gemütlich, wie Siggo sie in Erinnerung hatte. Aber sie wirkte auch vernachlässigt. In den Ecken sammelte sich der Staub, ein paar vorwitzige Spinnen hatten an der Decke ihre Netze gewebt. Höchste Zeit, dass sich hier etwas ändert, dachte er. Dann stellte er einen fest verschlossenen, gusseisernen Topf auf den Tisch, aus dem es herrlich duftete. »Von Mutter. Mit Backpflaumen und Ãpfeln gefüllter Schweinebauch. Ich soll dir ausrichten, dass sie ihn so zubereitet hat, wie du ihn am liebsten magst.«
Wilhelm Podolski strahlte, aber aus den Augenwinkeln bemerkte Siggo, wie Oliver auf den Topf stierte. Dabeihatte der Bursche doch vorhin erst das riesige Käsebrot verdrückt.
»Hm«, brummte Wilhelm und strich sich über den weiÃen Backenbart. Ganz offensichtlich versuchte er, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen. Sein knurrender Magen aber verriet ihn. Schnell sagte er: »Köstlich, ganz köstlich. Aber bitte richte Gerlinde aus, dass sie sich keine Umstände mehr machen soll. Ich komme schon zurecht.«
Siggo wehrte ab: »Sie freut sich, dass sie helfen kann.« Dass seine Mutter erst gestern über die hohen Fleischpreise gestöhnt hatte, lieà er unerwähnt. »Wie geht es Anna? Ist sie wieder gesund?«
Anna war seit dreiÃig Jahren Wilhelms Köchin und Haushälterin. Im verregneten Frühjahr hatte sie sich eine schwere Influenza zugezogen. Seitdem ernährte sich der ehemalige Offizier von Bücklingen und Brot, Wurst und Käse, rohem Gemüse und Obst. Er empfand eine ausgeprägte Abneigung gegen Gasthäuser.
»Nein«, gestand er nun. »Sie ist noch sehr schwach, aber ich hoffe, dass ich sie vor Weihnachten wiederhabe.«
Siggo trank einen Schluck Wasser und schaute nachdenklich auf den schwarzen Topf. So wie er Wilhelm kannte, würde der Freund den Schweinebauch kalt verspeisen, da er nicht einmal fähig war, den Kohleofen in der Küche anzuzünden.
Auf einmal kam ihm ein Einfall. »Bis Weihnachten sind es noch mehr als fünf Wochen«, sagte er. »Ich kenne da jemanden, der dir helfen könnte.«
Wilhelm schüttelte den Kopf. »Du weiÃt, ich kann Anna niemals entlassen. Halt, mein Junge!« Letzteres galt Oliver.
Mit zwei kurzen Schritten war Wilhelm bei ihm undgriff nach dem Degen, den der Junge von der Wand genommen hatte und in diesem Moment aus dem Schaft ziehen wollte. »Vorsicht, das ist kein Spielzeug.« Olivers Augen leuchteten vor Begeisterung auf, aber er lieà sich die scharfe Waffe fügsam wegnehmen.
Wilhelm hängte den Degen zurück an die Wand und drehte sich zu Siggo um. »Anna ist zu alt, um noch eine andere Stellung zu finden, und ich bin zu alt, um mich auf eine neue Perle einzustellen.«
»Davon soll keine Rede sein«, sagte Siggo. »Die junge Frau, von der ich spreche, könnte dich versorgen, bis Anna wieder gesund ist. Ich glaube, sie ist im Moment über jede Arbeit froh, auch wenn es nur vorübergehend ist. Und ich habe gehört, sie kocht hervorragend.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber Siggo hoffte, dass Mädchen, die nach Wacholder und anderen guten Dingen dufteten, auch gute Köchinnen waren.
»Greta!«, rief Oliver begeistert aus. »Du meinst Greta. Sie hat mir erzählt, dass sie Arbeit sucht.«
»Ganz richtig.«
Wilhelm sah von einem zum anderen. »Das wäre meine Rettung. Wann kann die Dame bei mir anfangen?«
Siggo wechselte einen raschen Blick mit Oliver. »WeiÃt du, wo Greta heute Morgen ist?«
»Als ich wegging, war sie noch zu Hause. Wenn wir gleich zurückfahren, finde ich sie bestimmt. Soll ich?«
Wilhelm fischte einen Groschen aus seiner Westentasche und warf ihn dem Jungen zu. »Worauf wartest du noch?«
Siggo lachte, als Oliver ihn kräftig am Hemd zog. »Immer langsam mit den jungen Pferden.«
Dabei hatte er es selbst auf einmal eilig. Denn wie sollteGreta ohne ihn Wilhelms Haus an der Sternschanze finden? Er musste sie selbstverständlich herfahren. Das war er dem alten Freund der Familie schuldig. Siggo überhörte ganz bewusst, wie sein Herz schneller und lauter schlug.
Trotz aller Eile ging es schon auf Mittag
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