Die Tortenbäckerin
Mutti und Vati, die sich um sie kümmerten. Leni hatte ein Zuhause, sie bekam genug zu essen und besaà zwei Kleidchen zum Wechseln. Aber Mutti lieà sie nie auf ihrem Schoà sitzen, wie es die Märchenfee tat, und wenn sie ihr das Haar flocht, tat das immer weh. Und Vati â wenn Leni ganz angestrengt darüber nachdachte, dann hatte sie vor ihrem Vati Angst.
5
D er Tag begann wie viele andere zuvor. Dichter Nebel hing über der Elbe und tauchte die Stadt Altona in ein diffuses Licht. Feuchte Kälte kroch unter jedes Kleidungsstück, lieà die Finger klamm und die Stimme heiser werden. Siggo jedoch fühlte sich, als sei der schönste Sommertag angebrochen. Er pfiff einen Gassenhauer, der von einem Seemann und seiner Braut handelte, und striegelte Maxens Fell, bis es weich und glänzend war. Dann ging er hinüber zu Moritz und begann mit der Arbeit von vorn. In Gedanken aber war er nicht bei seinen Pferden, sondern sah eine junge hübsche Frau mit rotbraunem Haar und zierlicher Figur vor sich. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Was war nur mit ihm los? Seit wann beschäftigte er sich stundenlang mit einem Mädchen? Hatte sie ihn womöglich mit ihren groÃen Augen verhext?
Greta â das war ein kühler, ein strenger Name. Und doch weckte er die zärtlichsten Gefühle in ihm. Noch immer roch Siggo den Duft ihrer Locken, eine Mischung aus Kernseife, Wacholder und etwas anderem, das er nicht kannte. Er erinnerte sich daran, wie er ihre schmale Taille mit beiden Händen umfassen konnte, als er sie gestern Abend auf den Kutschbock gehoben hatte.
»Du bist ein Trottel!«, sagte er laut. Moritz schüttelteseinen schweren Kopf, und Siggo musste lachen. »Nein, du nicht, mein Alter.«
Er legte den Striegel beiseite und begann, die beiden Schleswiger aufzuzäumen. Je eher er sich dieses Mädchen aus dem Kopf schlug, desto besser. Hatte sie ihm nicht selbst verraten, dass sie einen anderen liebte? Einen gewissen Christoph Hansen, den Sohn ihrer Herrschaft, der für ein Jahr nach Deutsch-Ostafrika geschickt wurde? Greta schien fest entschlossen, auf diesen Mann zu warten. Wie sollte er da mithalten? Er war doch nur ein einfacher Fuhrunternehmer, mit einem Geschäft, das kurz vor dem Konkurs stand. Nein! In Gretas Träumen war kein Platz für ihn.
Siggo hatte Max und Moritz vor den Pritschenwagen gespannt, als er eine Bewegung an der Stalltür wahrnahm. Einen hoffnungsvollen Moment lang dachte er an das Mädchen mit den graublauen Augen und vergaÃ, was er gerade erst beschlossen hatte.
Doch es war nur Oliver, der schmächtige Laufbursche. Siggo musterte den Jungen nachdenklich. »Vom Waschen hältst du wohl nicht viel, was, mien Jung?«
Oliver blickte auf seine dreckverkrusteten Hände und zuckte mit den Schultern. »Nee.«
»Genauso viel wie von der Schule, wie mir scheint.«
Erneutes Schulterzucken.
Siggo schwang sich auf den Kutschbock. »Hast du einen Auftrag für mich?«
»Nee.«
»Sehr gesprächig bist du heute Morgen ja nicht. Wo sind eigentlich deine Eltern?«
Oliver zog ein langes Gesicht. »Wieso wollen das auf einmal alle von mir wissen? Erst Greta und jetzt du.«
Siggo spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. »Greta? Du kennst sie?«
»Klar! Wir sind sooo dicke Freunde.« Oliver hielt seine Hände so weit auseinander, dass locker ein ganzer WeiÃkohl dazwischen gepasst hätte. Oder eine ausgewachsene Nordsee-Scholle.
Keine Frage, der Junge übertrieb maÃlos. Dennoch gewann er in Siggos Augen schlagartig an Bedeutung. Er nahm die Fahrleine in die Hand und nickte ihm zu. »Schlieà die Stalltür! Und wenn du willst, kannst du mitfahren.«
»Wohin?«, rief Oliver und beeilte sich, den Befehl auszuführen. Er sprang auf, als der Wagen bereits anrollte.
»Nach Hamburg hinein. Erst eine Fuhre Heu zum Viehmarkt bringen, dann einen guten Freund von mir besuchen.«
Olivers Augen leuchteten auf, er lachte und entblöÃte dabei ein lückenhaftes Kindergebiss. Dann saà er still da, betrachtete die Welt von oben und wirkte mindestens so stolz wie ein dänischer Prinz.
Als sie an hohen, schmalen, rauchgeschwärzten Häusern entlang die GroÃe GärtnerstraÃe passiert hatten, brach Siggo das Schweigen. »Hast du Hunger?« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er hinter sich und reichte dem Jungen ein in
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